Corona-Krise vs. Klimakrise: Wo Haberland irrt
Zuletzt aktualisiert am 1. Mai 2020 durch Jürgen Voskuhl
Der Lobbyist und Präsident des Autoclubs Mobil in Deutschland e. V., Dr. Michael Haberland, möchte wegen der Corona-Krise die deutsche Automobilindustrie durch acht Maßnahmen fördern. Warum das ein Irrweg ist.
Stellt Euch vor, Ihr befindet Euch mit Freunden auf einem Schiff, welches zu sinken droht. Natürlich schöpft Ihr das Wasser raus; einige versuchen, das Leck zu stopfen.
Plötzlich bricht ein Brand aus. Natürlich muss der dringend gelöscht werden!
Nachdem der Brand gelöscht ist, arbeiten alle wieder unverzüglich an dem Pumpen, beziehungsweise am Leck. Würde jeder so machen, oder? Nein, nicht jeder!
Lobbyist Michael Haberland möchte, dass Ihr Euch nach dem Löschen des Brandes erst einmal ausruht und regeneriert, bevor Ihr wieder Wasser abpumpt. Und danach könnt Ihr es beim Abpumpen ruhig ein bisschen langsamer angehen lassen. Klingt irre? Stimmt, ist es auch!
Genau so geht Dr. Haberland aber mit der Klimakrise vor dem Hintergrund der Corona-Krise um!
Durch acht Maßnahmen (hier geht's zum Artikel) möchte Herr Dr. Haberland "nachhaltig für eine Normalität in der Gesellschaft und Wirtschaft sorgen".
Bereits in seiner Einleitung fordert Herr Haberland, "so schnell wie möglich einige Restriktionen und Maßnahmen der Bundesregierung und … der Europäischen Union zu entschärfen oder auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, um die Mobilität der Bürger auch weiterhin zu gewährleisten und Industrie, Automobilindustrie und damit auch unsere Wirtschaft in Deutschland zu entlasten und zu erhalten."
Schon hier unterliegt der Autor einem Irrtum: die "Mobilität der Bürger" ist auch unter Beibehaltung der Restriktionen und Maßnahmen gewährleistet.
Aber lasst uns die Forderungen von Dr. Haberland gemeinsam durchgehen und widerlegen.
Aussetzung oder Streckung des von der EU gesetzte CO2-Flottengrenzwerts
Nur weil gerade Corona-Krise ist, ist die Klimakrise nicht verschwunden! Ursache für die Klimakrise sind vor allem Treibhausgas-Emissionen – wozu auch der Verkehrssektor nicht unerheblich beiträgt.
So sind 2019 laut Information des Umweltbundesamts die Treibhausgasemissionen gegenüber dem Vorjahr insgesamt zwar um 6,3% gesunken. Der Verkehrssektor stellt hier jedoch eine unrühmliche Ausnahme dar: Die CO2-Emissionen im Verkehr stiegen um 1,2 Millionen Tonnen auf 163,5 Millionen Tonnen.
Bis 2030 soll der Sektor nur noch 98 bis 95 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen.
Der EU-Beschluss zum Thema CO2-Flottengrenzwert ist inzwischen über ein Jahr alt und hat sich zuvor bereits abgezeichnet. Insofern kam das also für die Automobilindustrie nicht völlig überraschend.
In vielen Ländern auf der Welt sind Autos mit Verbrennungsmotoren zukünftig verboten.
Ein weitere Aspekt: in vielen Ländern auf der Welt sind – beginnend 2025 in Norwegen – Autos mit Verbrennungsmotoren zukünftig verboten.
Die vom Lobbyisten Haberland geforderte Aussetzung des CO2-Flottengrenzwertes führt zu einer Verkürzung der Interventionszeit. Die Automobilindustrie müsste also im Anschluss doppelt so schnell Emissionen reduzieren, um das im Gesetz verankerte Ziel (Reduzierung der Emissionen im Verkehr bis 2030 um 40 bis 42 Prozent gegenüber 1990) noch zu erreichen.
Für die deutsche Automobilindustrie ist also eher Eile geboten, ein Abwarten hilft jedenfalls Niemandem.
Verschiebung der Verpflichtung zum Einbau von Assistenzsystemen
Ab 2022 sind bestimmte Assistenzsysteme wie zum Beispiel intelligente Geschwindigkeitsbegrenzer, Müdigkeitswarner und eine technische Vorbereitung für den Einbau einer Alkoholsperre für alle Kraftfahrzeuge vorgeschrieben. Außerdem soll ein Unfalldatenspeicher, die sogenannte Black Box, zur Pflicht werden. Für Pkw und Nutzfahrzeuge werden darüber hinaus zusätzliche Notbrems- und Spurhalteassistenten vorgeschrieben.
Keine Frage, diese Sicherheits- und Assistenzsysteme kosten Geld. Aber erinnern wir uns doch mal kurz zurück: Wie war das noch mit Sicherheitsgurten, Airbags, ABS und dem ESP? Auch diese waren zunächst nur in Fahrzeugen der Oberklasse und selbst da auch nur gegen Aufpreis erhältlich – ebenso wie die zuvor genannten Systeme, um die es aktuell geht.
Niemand diskutiert heute über die Kosten von Sicherheitsgurten, Airbags oder ABS.
Heute setzt man die genannten Systeme voraus – in jedem neuen Fahrzeug. Und niemand diskutiert über die Kosten, die aufgrund der Stückzahlen auch bei der Herstellung nicht wirklich ins Gewicht fallen.
Letztendlich geht es bei diesen Systemen darum, die Zahl der Getöteten im Straßenverkehr deutlich zu senken. Und jedes gerettete Menschenleben sollte einem Autokäufer doch ein paar Euro wert sein. Oder etwa nicht, Herr Dr. Haberland?
Dieselfahrverbote in Städten
Dr. Haberland postuliert, dass die "Gewährleistung der Mobilität aller Bürger an erster Stelle steht" und die Dieselfahrverbote dieser entgegenstehen.
Mobilität ist wichtig, keine Frage. Aber ob Mobilität an erster Stelle steht, mag jeder für sich selbst entscheiden.
Ob Dr. Haberland den ÖPNV, Fahrräder, Lastenräder und so weiter in seine Überlegungen mit einbezogen hat, bevor er zu seiner Aussage gekommen ist? Ich glaube nicht! Denn dann hätte ihm klar werden müssen, dass ein Verbot von Dieselfahrzeuge in den Innenstädten keinen nennenswerten Einfluss auf die Mobilität der Bürger hat.
Das Gegenteil ist der Fall: Städte wie etwa London, Gent oder Madrid zeigen uns bereits heute, das es zumindest weitgehend oder sogar ganz ohne Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor in den Innenstädten geht.
Dieselfahrverbote hin oder her – die sind ohnehin nur der Anfang!
Letztendlich geht es um weniger Emissionen, weniger Verkehr, weniger Autos in den Innenstädten. Dieselfahrzeuge sind da höchstens ein Anfang, auch in verschiedenen deutschen Städten wie etwa in Berlin gibt es bereits heute schon Diskussionen über ein Verbot von Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren im Allgemeinen.
CO2-Steuer ab 2021
Bei der CO2-Steuer (bzw. dem nationalen Emissionshandelssystem, kurz nEHS) geht es primär darum, Folgekosten aus Umweltschäden zu internalisieren, d. h. dem jeweiligen Verursacher zuzuordnen. Wer Umweltschäden verursacht, soll auch dafür gerade stehen.
Insofern kann diesbezüglich auf gar keinen Fall von einer "unnötigen Belastung" die Rede sein, es handelt sich lediglich um eine Belastung des tatsächlichen Verursachers.
So wird durch die (m. E. viel zu niedrige!) Co2-Steuer (resp. Preis für CO2-Zertifikate) auch ein Anreiz geschaffen, auf klimafreundlichere Alternativen umzusteigen.
Die Corona-Krise ändert an diesem Sachverhalt überhaupt nichts – weshalb es aus meiner Sicht auch überhaupt keinen Grund gibt, am nEHS zu rütteln oder dieses gar auszusetzen, wie von Dr. Haberland gefordert.
Finanzielle Förderung der Deutschen Umwelthilfe
Dr. Haberland möchte die finanzielle Förderung der Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH) durch den Bund stoppen, da sie eine "fragwürdige Organisation" sei.
Das ist sie mitnichten! Die DUH engagiert sich für den Klimaschutz, die Erhaltung der biologischen Vielfalt, eine auf Effizienz und regenerativen Quellen basierende Energieversorgung, Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft, saubere Luft, nachhaltige Mobilität und Verbraucherschutz – alles Ziele, die allen Bürgern nützen. Und genau darum ist die DUH mit Recht eine "gemeinnützige Organsiation".
Verbandsklagerecht
Auch vor dem Verbandsklagerecht macht der Präsident von Mobil in Deutschland e. V. nicht halt: seiner Ansicht nach bedarf dies einer "genauen Prüfung, um herauszufiltern, wo tatsächlich berechtigte Naturschutz- oder Anwohnerinteressen vertreten werden".
Das Verbandsklagerecht versetzt Vereine und Verbände (übrigens auch die DUH; ein Schelm, wer Böses dabei denkt) in die Lage, die Durchsetzung von Rechtsvorschriften vor Gericht einzuklagen. Es geht zurück auf EU-Recht, nämlich die sogenannte Aarhus-Konvention aus dem Jahr 1998. Abgesehen davon, dass es nicht sinnvoll ist, Verbände in diesem Recht zu beschneiden, ist dies also ohne Änderung von EU-Recht auch gar nicht möglich.
Halbierung der Mehrwertsteuer für alle Neuwagen als Kaufanreiz
Lobbyist Haberland befindet sich auch hier auf dem Holzweg: es braucht keine "Anreize für den Neuwagenkauf".
"Verkehrswende" bedeutet weniger Fahrzeuge auf unseren Straßen.
Verkehrswende bedeutet letztendlich weniger Fahrzeuge auf unseren Straßen! Dies bestätigen auch namhafte Mobilitätsforscher wie zum Beispiel Weert Canzler oder Prof. Andreas Knie.
Die Corona-Krise ändert auch hier absolut nichts am Sachverhalt. Selbst die existierende Förderung von Elektrofahrzeugen kann nur eine Zwischenlösung sein, nämlich um zeitnah Emissionen zu senken.
Fazit
Haberland's Forderungen sind ausschließlich von den Interessen der Automobilindustrie geprägt, es handelt sich also um Lobbyismus in Reinstform. Das lässt sich auch an anderen Beiträgen von ihm belegen. Dass FOCUS Online ihn als einen "Online-Experten" (für was bitte?) ausweist, darf man daher fast schon als eine Farce bezeichnen.
Online-Lobbyist statt Online-Experte
Mein Vorschlag an FOCUS Online lautet deshalb, im Fall von Dr. Haberland die Bezeichnung "Online-Lobbyist" zu verwenden: Es erscheint mir nur fair, dass jeder bereits zu Beginn des Artikels weiß, was da auf ihn zukommt. Nämlich das es sich nicht um ausgewogenen Journalismus handelt. Bei der Süddeutschen Zeitung klappt das doch auch!
Na, Focus Online, wie wär's?