Beiträge

Der Runde Tisch Erneuerbare Energien (RT-EE) ist eine offene Runde mit Vertreterinnen und Vertretern von Vereinen, Initiativen und Nichtregierungsorganisationen, die sich regional und bundesweit für 100% Erneuerbare Energien (EE) bis spätestens 2030 einsetzen.
itcv hat die Website energiewende-2030.de für die Gruppe erstellt.

RT-EE Website (Screenshot)

Die Bedrohungen für die Menschheit durch die Klimakrise und die Biodiversitätskrise sind inzwischen allgemein bekannt. Das gilt ebenso für deren Ursachen. Eine der Maßnahmen, um die Erderhitzung zu begrenzen, ist die Umstellung des Energiesystems auf Erneuerbare Energien. Der Runde Tisch Erneuerbare Energien (RT-EE) setzt sich dafür ein, dass dies möglichst schnell erfolgt.

Wir unterstützen diese Idee und arbeiten aktiv am RT-EE mit. Da lag es natürlich nahe, dass die itcv GmbH auch die Website für den RT-EE erstellt.

Zielgruppe und Zielsetzung

Wie bei jedem Website-Projekt stand am Anfang die Frage: Wen und was möchte man mit der Website eigentlich erreichen?
Aufgrund der geleisteten Vorarbeit war dies recht schnell zu beantworten: angesprochen werden sollen

  • Politiker:innen
  • Journalist:innen
  • NGOs, die aktiv am RT-EE mitarbeiten (wollen)

Dabei sollen die Politiker:innen dahingehend informiert und beeinflusst werden, politisch eine möglichst schnelle (Bürger-)Energiewende möglich zu machen, Journalist:inen sollen darüber berichten und NGO's zur aktiven Mitarbeit motiviert werden.

Die Online-Strategie des RT-EE

Einer klassischen Online-Strategie (eigener Auftritt in den sozialen Medien, etc.) wurde hier bewusst eine Absage erteilt: die angeschlossenen NGO's verfügen ja ihrerseits bereits über entsprechende Kanäle, zudem stehen die für die Betreuung erforderlichen Ressourcen einfach nicht zur Verfügung.

Über die Website sollen vielmehr (nicht nur) den angeschlossenen NGOs und der Zielgruppe Informationen in aufbereiteter Form zur Verfügung gestellt werden, welche die Zielerreichung (siehe oben) fördern.

Definition der Anforderungen des RT-EE

Auf Basis der vorbeschriebenen Informationen konnten wir nun daran gehen, die konkreten Anforderungen zu definieren. Dies betraf einerseits die konkreten Inhalte, aber auch das Design (zum Beispiel die Farbgebung) sowie die User Journeys (Was „erlebt“ eine Person beim Besuch der Seite? Wie gelangt der Besucher zu der für ihn gedachten Information?).

Visuelles Design

Nachdem wir diese Parameter mit dem Kunden besprochen und abgestimmt haben, konnte es an das visuelle Design, also die eigentliche Implementierung der Website gehen.

Sofern Geheimhaltungsanforderungen dies zulassen (so auch in diesem Fall), verwenden wir für Entwürfe spezielle Subdomains (Stage-Domains). Diese sind zwar frei zugänglich, aber nur dem jeweiligen Kunden und uns bekannt („Security by Obscurity“). Sie werden zudem auch von keiner Suchmaschine besucht.

Farben

In Abstimmung mit dem RT-EE haben wir die Website (weißer Hintergrund) in blau (Objektivität, Neutralität und Klarheit) und gelb, bzw. orange (Sonne, Licht und Wärme) gehalten.
Da Orange auch eine Signalfarbe ist, bot sich die Verwendung auch für Interaktionen des Besuchers (Buttons, usw.).

Das Logo des RT-EE beinhaltet übrigens ein 360-Grad-Farbrad. Insofern bestand hinsichtlich irgendwelcher Vorgaben (ggf. vorhandenes CI) auch keinerlei farbliche Einschränkung.

RT-EE Logo

Anordnung der Inhalte

Obwohl von Anfang klar war, das nicht alle Informationen auf einer Seite („One-Pager“ oder auch „Single-Page-Design“) untergebracht werde können, haben wir dem Kunden dennoch eine Startseite empfohlen, auf der die Kerninformationen unterbracht sind:

  • Um was geht es?
  • Was sind die Kernforderungen, um das Ziel zu erreichen?
  • Wer steckt dahinter?

Für den Bereich, der ohne zu scrollen sichtbar ist („Above the fold“), haben wir ein dynamisches Element (zentrale Forderung, erklärt in zwei Sätzen) vorgeschlagen. Das Bild mit dem ersten Satz haben wir zudem als Vorschaubild hinterlegt, so das dies verwendet wird, wenn immer jemand eine URL der Website in den sozialen Medien teilt.

Am Ende der Seite befinden sich die CTAs („Call-to-action“). Es bleibt dem Besucher überlassen, ob dieser

  • sich über die Historie des RT-EE informieren möchte
  • das Informationsangebot („Themen") des RT-EE einsehen möchte oder
  • Kontakt zum RT-EE aufnehmen möchte

Das RT-EE-Blog: Das Informationsangebot des RT-EE

Wie bereits weiter oben angedeutet, sollen auf der Website Informationen zur Verfügung gestellt werden, welche das Ziel („100% erneuerbare Energien bis 2030“) unterstützen. Diese können dann von den angeschlossenen NGOs weiterverbreitet werden.

Hierbestand die Herausforderung darin, diese Informationen zu strukturieren, beziehungsweise zu gruppieren.
Nach intensiver Diskussion hat sich der RT-EE letztendlich für eine Aufteilung in vier Bereiche entschieden:

RT-EE - Themen

Zu jedem der vier Themenbereiche existieren Blog-Beiträge, die von RT-EE-Teilnehmern erstellt und gepflegt werden.

Kuratierte Inhalte

Bei den Beiträgen handeltes sich in der Regel um kuratierte Inhalte. Das bedeutet, dass lesenswerte Beiträge anderer Webseiten zusammengefasst, die Inhalte gegebenenfalls eingeordnet und der so entstandene neue Beitrag in Verbindung mit dem Link zum Original-Beitrag auf der RT-EE-Website eingestellt wird. Voraussetzung für das Gelingen ist Expertenwissen und außerdem journalistisches Geschick.
Bei den Original-Beiträgen kann es sich beispielsweise um interessante Fachaufsätze, Studien oder Gesetzesentwürfe handeln. Abhängig vom Thema ist es mitunter sinnvoll, mehrere Original-Beiträge zu einem Themen-Special zusammenzufassen.

Testphase

Der RT-EE hat die zur Verfügung gestellte Subdomain für ausgiebige Tests genutzt. Wir haben dann die Änderungswünsche und Verbesserungsvorschläge zeitnah umgesetzt.

Provider-Auswahl und Going Live

Nachdem der Content so weit vorbereitet war, haben wir uns um das Going-Live gekümmert. Eine aus verständlichen Gründen zentrale Anforderung des RT-EE war, dass das Rechenzentrum, in dem die Domain gehostet wird, mit echtem Ökostrom (grünem Strom) versorgt wird.
Unsere Empfehlung war hier die Dogado GmbH, da einerseits diese zentrale Anforderung erfüllt wird (das betreffende Rechenzentrum bezieht seinen Strom von der BayWa r.e., einem weltweit führender Anbieter von Lösungen im Bereich der Erneuerbaren Energien) und zudem auch ein 24/7-Support (also „rund um die Uhr“) zur Verfügung steht.

 

dogado Advertisement

Der Kunde ist unserem Vorschlag gerne gefolgt. Somit stand einem Going-Live zum Jahresbeginn nicht mehr im Wege!

Fazit

Das Projekt energiewende-2030.de wurde entsprechend dem itcv-Projektleitfaden für Website-Gestaltung realisiert.

Durch den ständigen Informationsaustausch zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer sowie der zeitigen Bereitstellung einer Stage-Domain konnte das Projekt zügig realisiert werden. Der gesteckte Zeitrahmen wurde eingehalten.

Und was meint der Kunde dazu?

Wir sind sehr froh, in Herrn Voskuhl einen Mitstreiter gefunden zu haben, der uns mit seiner konstruktiven Herangehensweise, verbunden mit den richtigen Fragestellungen, zu einer Website geführt hat, die unseren Vorstellungen entspricht. Die Website transportiert exakt die Botschaften, die wir Besuchern vermitteln wollen.

Vor wenigen Tagen hat Gabor Steingart seine Meinung zum Thema Kernenergie verbreitet.
Ich habe mir Steingarts Beitrag durchgelesen und liefere hier einige wichtige, ergänzende Tatsachen. Damit sich dann jeder nach Kenntnis ALLER Fakten eine eigene Meinung bilden kann.

Weiterlesen

Derzeit wird ja allerorts vor der angeblich drohenden Blackout-Gefahr gewarnt. In diesem Zusammenhang ist auch gerne von der „gescheiterten Energiewende“ die Rede und der deutsche Atomausstieg wird wieder thematisiert.

Auch Roland Tichy, Gründer der neurechten Plattform Tichys Einblick, diskutiert in einer Folge seines Talk-Formats Tichys Ausblick Talk („Energiewende ausgeträumt – droht jetzt der Blackout?“) mit seinen Gästen über all diese Themen.
Ich habe mir das deshalb angeschaut und räume nachfolgend mit einigen der in diesem Video besprochenen Narrative auf, die auch an anderen Stellen gerne propagiert werden.

Das in allen Talk-Sendungen von Tichy gewählte Setting (in einer Hotel-Suite) hat für mich rein optisch immer etwas von einem konspirativen Treffen. Also im Sinne von einer Kneipe, in der im Hinterzimmer irgendwelche Kungeleien ablaufen - und wir Zuschauer dürfen exklusiv Zeugen sein. Wer sich selbst ein Bild machen möchte: am Ende des Beitrags befindet sich der Link zum Video. Für das Textverständnis ist das jedoch unwichtig. Man muss sich das also nicht zwingend anschauen.

Dieser Beitrag behandelt folgende Themen und Fragestellungen, die auch in der Sendung angesprochen werden:

Tichys Gäste

Wie immer, stellt Roland Tichy zunächst die Gäste der jeweiligen Sendung vor. Wer sitzt da also mit am Tisch?

Prof. Dr. Fritz Vahrenholt war Umweltsenator in Hamburg, wechselte dann in die Energiewirtschaft (zuerst zur deutschen Tochter des Öl- und Gaskonzerns Shell, dann als Vorstandschef zu einem Windkraftanlagen-Hersteller, zuletzt zur Ökostromsparte von RWE). Danach machte er einen seltsamen Wandel zum Klimafaktenleugner durch.
Tichy weist im Rahmen von Vahrenholts Vorstellung darauf hin, dass Vahrenholt „die deutsche Wildtierstiftung groß gemacht hat“.
Was Tichy nicht sagt, reiche ich der Vollständigkeit halber an dieser Stelle nach: ebendiese Wildtierstiftung hat sich 2019 von Vahrenholt getrennt, wegen „unterschiedlicher Vorstellungen über die Positionierung der Stiftung in der aktuellen klimapolitischen Diskussion“. Nunja...

Albert Duin ist Unternehmer, FDP-Politiker und seit Oktober 2018 bayerischer Landtagsabgeordneter. Er ist außerdem Mitglied von Nuklearia e. V. Der Verein propagiert die Nutzung der Atomenergie als wesentlichen Bestandteil der Energieversorgung, da er Erneuerbare Energien als nicht ausreichend und unzuverlässig ansieht. Er arbeitet auf eine Revison des Atomausstiegs hin, damit der Bau und Betrieb neuer Reaktoren möglich wird.

Frank Henning, Diplomingenieur für Kraftwerksanlagen und Energieumwandlung, war viele Jahre in Kohlekraftwerken eines großen Versorgers beschäftigt (u. A. Jänschwalde) und schreibt heute Bücher (Dunkelflaute", ) und auch für Tichys Einblick, zum Beispiel die Serie "ABC des Energiewende- und Grünsprech". Was er von der Partei DIE GRÜNEN und der Energiewende im Speziellen hält, dürfte damit klar sein.

Zwischen den Gästen entwickelt sich - von Tichy moderiert - ein Gespräch auf Stammtisch-Niveau: da werden munter Anekdoten, Fakten und Fiktion vermischt und unbelegte Tatsachenbehaupten in den Raum gestellt.
Da es sich um ein YouTube-Format handelt, wäre es für Tichy ein leichtes, ein Factsheet mitzuliefern, wie zum Beispiel der Video-Blogger Rezo das macht. Aber das ist wohl aus gutem Grund nicht gewollt, denn dann würden schnell die Umgereimtheiten bei den Gesprächsinhalten offensichtlich.
Macht aber nix: ich reiche das hiermit gerne nach.

Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie

Vahrenholt ist angesichts steigender Energiepreise besorgt um die Wettbewerbsfähigkeit der mittelständischen und der energieintensiven Industrie. Er stellt fest, dass es für Rohstoffe wie Kupfer, Stahl und Aluminium einen Weltmarktpreis gibt und sieht ein Problem wegen der aktuellen Energiepreissteigerungen hierzulande. Als Begründung führt er die derzeitige Verdreifachung des Gaspreises an (Hallo? Ist das etwa kein Weltmarktpreis?) sowie den „dramatischen Anstieg des CO₂-Preises“ (gemeint ist hier der Preis für EU-ETS-Zertifikate).
Unerwähnt lässt er allerdings den am 14. Juli 2021 von der EU beschlossenen und ab 2026 gültigen Mechanismus zur Anpassung der CO2-Grenze, den „Carbon Border Adjustment Mechanism“ (CBAM). Der CBAM wird den CO2-Preis zwischen einheimischen Produkten und Importen angleichen und sicherstellen, dass die Klimaziele der EU nicht durch Produktionsverlagerungen in Länder mit weniger ehrgeiziger Politik untergraben werden.
Vahrenholts Sorgen sind also höchstens von temporärer Natur, denn die Lösung ist seitens der EU bereits beschlossen.

Steht uns ein „Klima-Lockdown“ bevor?

Im Anschluss kommt Vahrenholt auf das „außerordentlich schwache Windjahr“ zu sprechen.
Er erwartet, dass es vor dem Hintergrund der bevorstehenden Abschaltungen von Kohle- und Kernkraftwerk zu einer „Strommangelwirtschaft“ kommt und zu „Abschaltungen, weil es nicht zu jeder Zeit Versorgungssicherheit geben kann“. Die Argumentationslinie gipfelt dann in einem aufgeregten „Klima-Lockdown“. Aber wie realistisch ist das?

Die Prognos AG beantwortet diese Frage in der Kurzstudie Klimaneutralität und Versorgungssicherheit im Strommarkt. Das Fazit der Kurzstudie lautet:

Die Szenarien von KNDE [Anm.: Studie Klimaneutrales Deutschland] weisen bis 2030 und darüber hinaus eine hohe Versorgungssicherheit auf dem Strommarkt auf. Dies geht zum einen aus den Strommarktmodellierungen von Prognos AG hervor. Zum anderen geht dies ebenfalls aus einem Vergleich der Eingangsparameter mit der detaillierten Untersuchung von r2b et al (2019) hinsichtlich der Versorgungssicherheit auf dem Strommarkt hervor. Die Versorgungssicherheit auf dem Strommarkt wird bei einem ambitionierten Energiewende-Szenario insbesondere durch eine Flexibilisierung der Nachfrage über neue Stromverbraucher, das hohe Maß an europäischen Austauschkapazitäten sowie durch den Aufbau regelbarer Kraftwerksleistung ermöglicht.

Kurzum: Es gibt kein Problem, sofern die neue Regierung für Demand Side Management (DSM), europäische Austauschkapazitäten und regelbarer Kraftwerksleistung sorgt (und natürlich den Ausbau Erneuerbarer Energien beschleunigt). Was übrigens die bisherige Regierung bereits hätte machen können!

Wenn man im Hinblick auf diese Zukunft von regelbarer Kraftwerksleistung spricht, geht es regelmäßig um Gaskraftwerke - egal, ob diese nun mit Biogas, Erdgas, beziehungsweise später mit Wasserstoff betrieben werden. Da im weiteren Verlauf der Diskussionsrunde der Preisaspekt angesprochen wird, sei bereits an dieser Stelle angemerkt, dass auch das kein Problem darstellt: führende Experten auf dem Gebiet (Prof. Huber, TU München und Marco Wünsch von der Prognos AG) sind sich einig, dass die Kosten für entsprechende „Gas-Peaker“, also Gas-Kraftwerke, die nur in Ausnahmesituationen laufen, umgelegt auf die Kilowattstunde Strom 0,5 Cent nicht übersteigen:

Verfügbarkeit von Kernkraftwerken

Kommen wir zum nächsten Highlight: Albert Duin und die Kernkraft, insbesondere deren Verfügbarkeit. Klar, als Nuklearia-Mitglied (warum schreitet er eigentlich nicht ein, als Tichy sich abfällig über Nuklearia äußert?) muss er natürlich das Thema Verfügbarkeit, beziehungsweise Volllaststunden pro Jahr bringen.
Unter anderem das von ihm angeführte „bisschen Renovierung und bisschen Servicezeiten“ sorgt allerdings dafür, dass die deutschen Kernkraftwerke eine Verfügbarkeit von weniger als 90% haben, resultierend in 7.700 Volllaststunden pro Jahr (Zahlen aus 2018) statt der maximal möglichen und im Beitrag genannten 8.760 Stunden.

Hier eine entsprechende grafische Darstellung (Quelle: DIW):

Hinzu kommt: Zunehmende Hitzesommer mit daraus folgenden niedrigen Flusspegeln und zu warmes Flusswasser haben bereits in der Vergangenheit dazu geführt, dass Kernkraftwerke in Ihrer Leistung gedrosselt oder sogar komplett abgeschaltet werden mussten.  Die absehbaren Entwicklungen werden zukünftig die Verfügbarkeit und Leistung deutscher Kernkraftwerke weiter reduzieren.

Ein weiteres Problem ist das zunehmende Alter der verbliebenen deutschen Meiler. Dieses reduziert nicht nur die Verfügbarkeit, sondern sorgt auch für ein erhöhtes Sicherheitsrisiko. Ein Beleg dafür sind etwa die Probleme mit den Dampferzeugerheizrohren im Kernkraftwerk Neckarwestheim.

Kurzum: Die Verfügbarkeit der verbliebenen deutschen Kernkraftwerke ist lange nicht so hoch, wie Albert Duin suggerieren möchte und würde zukünftig aus verschiedenen Gründen weiter abnehmen.

Sagt der IPCC wirklich „Deutschland braucht Kernenergie“?

Es folgt der Auftritt von Frank Henning: Nachdem er der Politik eine „besondere Form der Realitätsverweigerung“ unterstellt, bringt er in dieser Runde die Sprache auf den IPCC, also den Weltklimarat. Es wird auch in dieser Runde das Argument bemüht „Der IPCC sagt, wir brauchen Kernenergie“.
Gefühlt höre ich das zum 100. mal. Aber auch, wenn man eine Lüge hundert Mal wiederholt, wird sie davon nicht wahr!

Es geht um den Bericht AR5 Climate Change 2014: Mitigation of Climate Change, Kapitel 7 (2014) und den in 2018 erschienenen Sonderbericht über 1,5 °C globale Erwärmung (SR1.5), Kapitel 2. Konkret geht es darum, wie die Emissionen bis Mitte des Jahrhunderts auf Null gesenkt werden können.
Hier wird von Atomkraft-Befürwortern regelmäßig eine Grafik und Textpassagen ins Spiel gebracht, die angeblich aufzeigen sollen, dass "in allen Szenarien Kernkraft ausgebaut wird". Genau das ist aber nicht der Fall!
Eine entsprechende Textpassage (aus SR 1.5) lautet wie folgt:

Nuclear power increases its share in most 1.5°C pathways with no or limited overshoot by 2050, but in some pathways both the absolute capacity and share of power from nuclear generators decrease (Table 2.15). There are large differences in nuclear power between models and across pathways (Kim et al., 2014; Rogelj et al., 2018). One of the reasons for this variation is that the future deployment of nuclear can be constrained by societal preferences assumed in narratives underlying the pathways (O’Neill et al., 2017; van Vuuren et al., 2017b). Some 1.5°C pathways with no or limited overshoot no longer see a role for nuclear fission by the end of the century, while others project about 95 EJ yr−1 of nuclear power in 2100 (Figure 2.15).

Übersetzt bedeutet das, dass die meisten Entwicklungspfade zu einem Ausbau der Kernenergie führen, manche jedoch zu einer Abnahme. Als einer der Gründe werden "gesellschaftliche Präferenzen" angegeben.
Interessant ist auch noch der Hinweis, dass in manchen Entwicklungspfade gegen Ende des Jahrhunderts gar keine Kernspaltung mehr vorkommt.

Zu beachten ist ferner, dass es sich bei den IPCC-Szenarien immer um eine globale Betrachtung handelt, also über alle Länder hinweg. Offensichtlich haben sich manche Länder für den Einsatz von Kernkraft entschieden, andere dagegen (darunter auch Deutschland). Beides widerspricht nicht den Aussagen des IPCC. Wer das also vorsätzlich konstruieren will,… führt gewiss etwas im Schilde!

Der IPCC fordert an keiner Stelle, dass Deutschland an Kernenergie festhalten oder gar Kernkraftwerke bauen muss.

Nordstream II „um Deutschland herumführen“?

Nun geht es etwas thematisch durcheinander, ich versuche das mal zu sortieren.
Zunächst stellt Vahrenholt die These in den Raum, dass man die Erdgas-Pipeline Nordstream II um Deutschland herumführen müsse, wenn man in Deutschland kein Erdgas nutzen will - was offensichtlich völliger Quatsch ist.
Ferner postuliert er, dass wir „mit dem Verbrennen des gesamten Gases dieser Pipeline 100 Mio. Tonnen CO₂ produzieren“ würden. Das Problem daran: niemand will das! Das Gas aus Nordstream II würde vielmehr an Verbraucher in ganz Europa geliefert.

CO₂-Abscheidung ist in Deutschland verboten - und das aus gutem Grund!

Vahrenholt möchte CCS (Carbon Capture & Storage, Kohlenstoffabscheidung und -speicherung) in fossile Kraftwerke einbauen. Das ist jedoch aus mehreren Gründen nicht sinnvoll.
Zum einen dient diese Technologie der Verlängerung der Nutzung fossiler Brennstoffe, was aus offensichtlichen Gründen nicht sinnvoll ist: wir müssen davon komplett weg!
Andererseits lässt sich damit laut Wissenschaftlern eine Abscheidungsrate von 65-80 Prozent erreichen. CCS in fossilen Kraftwerken bedeutet also nicht, dass die gesamten CO₂-Emissionen abgeschieden werden.

Im Übrigen ist die CCS-Technologie auch nicht ausgereift. Das kann man sehr schön beim Gorgon-Projekt in Australien sehen: Als Chevron die Genehmigung für seine 54 Milliarden Dollar teure Gorgon-Flüssiggasanlage erhielt, versprach das Unternehmen, 100 Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen in einer der weltweit größten CCS-Anlagen zu speichern.
5 Jahre später, im Juli 2021, musste Chevron, das Gorgon zusammen mit ExxonMobil, Royal Dutch Shell und einer Reihe japanischer Konzerne betreibt, eingestehen, dass es die Anforderungen, 80 Prozent der in den ersten fünf Betriebsjahren anfallenden Emissionen wegzusperren, nicht erfüllt hat.
Chevron machte technische Herausforderungen und eine dreijährige Verzögerung der CCS-Operationen verantwortlich, erklärte jedoch, dass das Unternehmen mit der Injektion von 5 Mio. Tonnen CO2-Äquivalent in riesige Sandsteinbecken unter Barrow Island vor Westaustralien seit 2019 einen „bedeutenden Meilenstein“ erreicht habe.

Noch ein paar Worte zum Einsatz in Deutschland: CCS werden wir in der Zukunft in nicht oder nur schwer dekarbonisierbaren Bereichen (Müllverbrennung, Zement, Chemie) gewiss brauchen. Da die Technologie aber auch Energie benötigt, ist es sinnvoll, diese erst dann einzusetzen, wenn die Stromerzeugung nahezu vollständig dekarbonisiert ist.

Weitere ausführliche Informationen zum Thema sind auf dieser Seite des Umweltbundesamtes zu finden.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch das Umweltgutachten 2020 des Sachverständigenrats für Umweltfragen (Umweltrat), in dem verschiedene Verfahren zur Erzielung negativer Emissionen ausführlich diskutiert werden (S. 62ff.):

SRU - CCS

CCS ist also derzeit aus gutem Grund verboten. Die Technologie kann jedoch möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt sinnvoll sein.

Vahrenholt versteht den CO₂-Preis nicht

Vahrenholt konstatiert, dass sich bei einem CO₂-Preis von 195 €/t der Strompreis verdreifacht. Das ist völliger Quatsch!
Der deutsche Strompreis ist ausschließlich von Zertifikaten des EU-ETS abhängig. Der Preis für ein solches Zertifikat liegt derzeit (Mitte Oktober) bei ca. 60 Euro (Quelle). Bis hierher liegt Vahrenholt also richtig.
Wenn aber laut Vahrenholt „DIE GRÜNEN und Frau Neubauer 195 Euro pro Tonne CO₂“ fordern (Wo tun sie das? Ich kann jedenfalls keine Quelle dafür finden!), kann sich das nur auf den nationalen Zertifikatehandel beziehen. Denn nur hier wird der Zertifikatspreis von der Bundespolitik bestimmt. Der nationalen Zertifikatehandel ist im Brennstoffemissionshandelsgesetz  (BEHG) geregelt und betrifft Emissionen, die eben nicht dem europäischen Emissionshandel unterliegen. Und damit hat er auch keinerlei Einfluss auf den Strompreis!
Das Umweltministerium erklärt es so:

Der im Januar 2021 neu in Kraft getretene nationale Zertifikatehandel umfasst grundsätzlich alle in Verkehr gebrachten fossilen Brennstoffe, also vor allem Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas. Der CO2-Preis betrifft somit insbesondere die Bereiche Wärme (Gebäude) und Verkehr. Für große Teile der Industrie und die Energiewirtschaft gibt es mit dem Europäischen Emissionshandel (EU-ETS) bereits einen Preis für den Ausstoß von CO2. Die vom ETS umfassten Unternehmen sind folglich vom nationalen Zertifikatehandel nicht betroffen.

Will man Emissionen wirklich verursachergerecht bepreisen (und was sollte bittesehr dagegen sprechen?), sind die von Vahrenholt genannten 195 €/t übrigens noch deutlich zu wenig: Realistisch erscheint laut Umweltbundesamt ein Preis in Höhe von 680 €/t.

Ein weiterer Aspekt, den Vahrenholt geflissentlich verschweigt: die meisten Parteien, die einen höheren CO2-Preis fordern, fordern gleichzeitig ein Klimageld/eine Klimaprämie. Das bedeutet, dass eingenommene Geld wird wieder ausgeschüttet, und zwar pauschal pro Kopf. Dadurch möchte man gerade die von Vahrenholt angeprangerten Zumutungen an Arbeitnehmer und Bürger vermeiden, sofern deren Emissionen auf einem normalen Niveau liegen: Wer wenig emittiert, bekommt etwas heraus. Wer viel emittiert, zahlt drauf.

Der EU-ETS-Zertifikatehandel und der nationale CO₂-Zertifikatehandel sind zwei völlig unterschiedliche Systeme und völlig unabhängig voneinander.

Verfehlte Energiepolitik

Es wäre lustig, wenn es nicht so traurig wäre! Was ich meine: das Jammern, dass Kohlekraftwerke nach dem Kernenergieausstieg weiterbetrieben werden. Wo waren denn diese Stimmen, als die Große Koalition aus CDU und SPD ab 2011 beim Ausbau der Erneuerbaren Energien massiv auf die Bremse getreten haben? Dabei ging es doch letztendlich um Protektionismus, nämlich von RWE & Co. Das können wir heute auch an vielen anderen Handlungen festmachen.

Das hat gekostet, nämlich zwischen 2011 und 2019 nachweislich 117.000 Arbeitsplätze.
Es hat zudem dazu geführt, dass heute der Ausbau von Photovoltaik- und Windenergieanlagen nicht weiter fortgeschritten ist.

Was wir heute sehen, ist also das Ergebnis der verfehlten Energiepolitik in den letzten zehn Jahren!

Der Flächenbedarf von Windkraftanlagen

Vahrenholt möchte uns einreden, dass aufgrund einer unsinnigen Flächenberechnung heute nicht 0,9% der Fläche der BRD mit WKA bebaut sind, sondern bereits 5%. Das ist einfach nur lächerlich!
Bei der Flächenberechnung im Zusammenhang mit Windenergieanlagen (WEA) legt man für jede WEA eine Ellipse zu Grunde, die aus dem 5-fachen Rotordurchmesser in Hauptwindrichtung und dem 3-fachen Rotordurchmesser in Nebenwindrichtung gebildet wird. Das Verfahren ist detailliert in diesem Dokument des Umweltbundesamtes beschrieben (Kap. 4.1).

Die Aussage „Heute sind 0,9% der Fläche der BRD mit Windenergieanlagen bebaut“ ist korrekt. 

Strombedarf 2050

Es geht auf dem Niveau weiter: laut Vahrenholt brauchen wir gegenüber heute "die 10-fache Menge Strom" (wegen Sektorkopplung). Nun, der Stromverbrauch heute (2020) beträgt 488,4 TWh. Lt. Vahrenholt würden wir also am Ende 4.884 TWh benötigen (und deshalb 50 Prozent der Landesfläche mit Windenergieanlagen zu bauen). Ist das realistisch?

Ein Beispiel: Die Studie Wege zu einem klimaneutralen Energiesystem des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme kommt - je nach Szenario - auf einen Bedarf zwischen 1750 TWh und 2500 TWh. Andere Studien liegen zum Teil deutlich darunter. Wir benötigen also ein mehrfaches an Strom, jedoch keinesfalls die 10-fache Menge.
Bei der Sektorkopplung ersetzen wir fossile Energieträger durch Strom, also Wärmepumpe statt Öl-/Gasheizkessel, Elektroautos statt Verbrennungsmotoren, usw. Das führt zu erheblichen Effizienzgewinnen, da Wärmeverluste vermieden werden. Im Ergebnis müssen wir viel weniger Energie importieren! Zur Einordnung: Deutschland gibt heute zwischen 60 und 100 Milliarden Euro (abhängig von Marktpreisen und Strenge des Winters) für den Import fossiler Energieträger (Öl, Gas, Kohle) aus.

Durch die Sektorkopplung steigt zwar die benötigte Strommenge gegenüber heute auf das 3-fache, der Energiebedarf insgesamt sinkt jedoch.

Verändern Windparks das Klima?

Onshore-Windparks haben einen Einfluss auf das Mikroklima (also das Klima im Windparkl selbst und in seiner unmittelbaren Umgebung). Drei amerikanische Forscher haben dazu eine Meta-Studie zusammengestellt, also zahlreiche Studien zum Thema zusammengetragen. Eine sehr gute und lesenswerte Einordnung findet sich auch hier. Die wichtigsten Takeaways:

  • Die Studien werden von anderen Wissenschaftler nicht als Argument gegen den Ausbau der Windkraft bewertet
  • In Städten ist es aufgrund der Versiegelung zwischen 0,5 und 6(!) Grad wärmer als im Umland
  • Kohlekraftwerke verändern nicht nur das globale Klima durch den CO₂-Ausstoß, sie verändern auch das lokale Klima und begünstigen Extremwetterlagen

Im Gegensatz zu diesen Fakten nimmt uns Vahrenholt jetzt vollends ins Reich der Märchen und Fabeln mit:

„Wir machen eine Technologie zur Bekämpfung des Klimas - und bringen die Hälfte der Erwärmung wieder zurück durch Windenergie"

Bereits dieser Satz ist pures Gold! Denn nach dieser Logik ist Vahrenholt wohl sehr nah dran am Perpetuum Mobile: Windenergieanlagen (WEA) würden demzufolge nämlich nicht nur Strom erzeugen, sondern auch noch Umgebungswärme. Das dürfte dann in toto mehr Energie sein, als dem Wind an kinetischer Energie entzogen wurde.

Aus dieser Erwärmung, in Kombination mit dem angeblichen Strombedarf (siehe oben), leitet Vahrenholt im nächsten Schritt ab, dass ein „Windpark Deutschland“ entsteht und „alle 1.000 Meter ein Windrad steht“. Sorry, was der Mann da von sich gibt, ist einfach nur peinlich!
Zur Einordnung hier mal ein Auszug aus einem Statement des KNE (Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende) zum Thema:

Aktuell vorliegende Studienergebnisse kommen zu dem Ergebnis, dass der Strombedarf im Jahr 2050 zwischen etwas mehr als dem Heutigen (rund 620 Terrawattstunden) bis zum Doppelten des Heutigen (1.000 Terawattstunden) beträgt. Dies würde bedeuten, dass zwischen 37.000 und etwa 65.000 Windenergieanlagen benötigt werden. Spekulationen und Angstszenarien von 300.000 Windenergieanlagen bis 2050 kann somit schon jetzt klar entgegengetreten werden.

Nichtsdestotrotz wiederholt Vahrenholt seinen Unsinn nochmal mit anderen Worten, wohl damit es beim Zuschauer auch hängenbleibt: „Dann haben wir im Abstand von einem Kilometer Windtürme, dann haben Sie in ganz Deutschland bis zu 0,5 Grad mehr Wärme, Trockenheit, Dürre“ - Wow, das ist ja nun nicht mal mehr Stammtischniveau!

Wieviel Volllaststunden liefern Windenergieanlagen?

Albert Duin erwähnt, dass WEA heute durchschnittlich 1.700 Volllaststunden pro Jahr erreichen. Das ist über den gesamten Bestand absolut korrekt.
Dies wird auch untermauert durch eine Grafik aus der Studie "Volllaststunden von Windenergieanlagen an Land" in welcher die Volllaststunden nach Anlagenjahrgängen aufgeschlüsselt sind:

WEA - Volllaststunden
Dennoch ist es nur die halbe Wahrheit: Der Wert wird zukünftig signifikant steigen. Das Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme schreibt dazu:

Einen deutlichen Kontrast zu den vom deutschen Anlagenbestand erreichten Volllaststunden bilden die erwarteten mittleren Volllaststunden der in 2018 neu errichteten WEA. Mit 2788 Stunden liegen die erwarteten Volllaststunden der neuen WEA um den Faktor 1,67 höher als das 10-Jahres-Mittel des Anlagenbestandes.

Woran das liegt, ist schnell erklärt: neuere Anlagen werden immer höher. In größerer Höhe weht der Wind konstanter. Daraus ergeben sich mehr Volllaststunden. Die größere Nabenhöhe erlaubt zudem größere Rotordurchmesser. Das führt zu einem erheblich höheren Ertrag einer WEA.

Neuere WEA erreichen eine deutlich höhere Anzahl Volllaststunden und damit einen höheren Ertrag, da sie über einen größeren Rotordurchmesser verfügen, höher sind und in der größeren Höhe der Wind beständiger weht.

Solarenergie, Speicher und Synergien im neuen Energiesystem

Tichy bringt nun Solarenergie ins Spiel, Vahrenholt stellt dazu zunächst fest, dass 25% des Stroms privat verbraucht werden, 75% Strom dagegen im Non-Residential-Bereich - das stimmt.
ABER: haben Gewerbeobjekte keine Dächer? Ergo kann man natürlich auch auf den Dächern eines großen Teils der 75% ganz vorzüglich Strom erzeugen! Und was ist mit Agri-PV (Photovoltaik über Feldern)? Auf Dächern von Parkplätzen und Verkehrswegen? Und der Hülle von Gebäuden (ja, Fassade geht heute auch!) und Fahrzeugen?

Effizienz von Energiespeichern

Danach arbeitet er sich an den Speicherverlusten ab („Sie verlieren auf dem Wege aber 2/3 der Energie“).
Schauen wir uns diese genau an. S&P Global Market Intelligence fasst das in folgenden Worten zusammen:

„The technology to convert power to hydrogen and back to power has a round-trip efficiency of 18%-46%, according to data that Flora presented from the Massachusetts Institute of Technology and scientific journal Nature Energy. In comparison, two mature long-duration technologies, pumped-storage hydropower and compressed air energy storage, boast round-trip efficiencies of 70%-85% and 42%-67%, respectively. Flow batteries, a rechargeable fuel cell technology that is less mature, have a round-trip efficiency of 60%-80%.“

Wir können also einerseits davon ausgehen, dass die von Vahrenholt propagierten 2/3 Verluste auf veraltetem Zahlenmaterial beruhen. Ich möchte aber außerdem auf den signifikant höheren Wert für Flussbatterien hinweisen. In China entsteht gerade eine solche Batterie.

Synergieeffekte nicht vergessen!

Was alle in der Runde völlig außer acht lassen, sind Synergieeffekte. Ich muss den mit Solaranlagen gespeicherten Strom nicht zwingend in der Nacht bereitstellen, sofern da der Wind weht. Das ist beispielsweise im Winterhalbjahr oft der Fall. Im Sommer weht dagegen weniger Wind, dafür ist die Anzahl Sonnenstunden/Tag höher. Sonne und Wind ergänzen sich also ganz hervorragend!

Wir sollten auf unserem Weg zu 100% Erneuerbarer Energie auch Biogas, Wasserkraft und andere Technologien nicht unberücksichtigt lassen. Das Thema wird sowohl auf globaler, auf europäischer und auch auf deutscher Ebene schon seit längerem diskutiert (SRU 2011; Henning und Palzer 2012; Jacobson u. a. 2017; Walter u. a. 2018; Bartholdsen u. a. 2019; Hainsch, Göke, u. a. 2020; Gerhards u. a. 2021). Hier ein Beispiel für eine Studie, die das Thema eingehend beleuchtet.

Es existieren zahlreiche Studien, die belegen, dass ein Energiesystem aus 100 % Erneuerbaren Energien in Deutschland aus technischer Sicht problemlos realisierbar ist. Die Frage ist also nicht mehr ob, sondern nur noch wie.

Elektromobilität

Frank Henning behauptet, dass man sich in anderen Ländern „verkalkuliert“ hat. Als Beispiele führt er Californien und Großbritannien  an, wo ein neues Gesetz dafür sorgt, dass Elektroautos ab Mai 2022 zu bestimmten Zeiten nicht mehr an privaten Ladesäulen geladen werden können. Wie unsinnig dieses Argument ist, wird in diesem Beitrag sehr gut erklärt, deshalb erspare ich mir weitere Ausführungen zum Thema.

Reicht der Strom?

Und nun schlägt die Stunde von Albert Duin: 18 TWh für 10 Mio. Elektroautos: Glückwunsch, richtig gerechnet - allerdings erst in 10 Jahren! Diese 18 TWh sind noch nicht mal 4% unseres heutigen Stromverbrauchs. Der Ausbau ist dann wohl zu schaffen (für alle Neugierigen, die es ganz genau wissen wollen: Jan Hegenberg hat sich hier des Themas angenommen - auf seine unnachahmliche, sehr unterhaltsame Weise. Und sogar Vahrenholt räumt ein: „Es überrascht, wie wenig Strom man dann wirklich braucht“ - nur um dann mit dem Gleichzeitigkeitsproblem aufzuwarten, welches er anscheinend sieht: "Alle stecken dann um 17 Uhr ein, wenn sie nach Hause kommen".
Ich formuliere es mal so: wenn heute um 17 Uhr auf dem Heimweg 10 Mio. Autos an den knapp 15.000 Tankstellen in Deutschland tanken würden: wie lang da wohl die Schlangen wären?
Ein anderes Beispiel: wenn alle Menschen in Deutschland morgens gleichzeitig den Toaster und die Kaffeemaschine einschalten würden oder mittags den Elektroherd oder den Backofen, würde das deutsche Stromnetz zusammenbrechen. Nur: es passiert nie!

Weder ist der Strombedarf von Elektroautos ein perspektivisches Problem, noch ein etwaiger Gleichzeitigkeitseffekt beim Laden.

Subventionen für Elektroautos

Nun öffnet Albert Duin die Büchse der Pandora: Subventionen!
Subventionierte Elektroautos sind für ihn ein Problem? Wo war denn der Aufschrei bei der Abwrackprämie 2009 (die nachweislich für die deutsche Automobilindustrie nix gebracht hat, wie man heute weiß)? Oder bei der ebenfalls unsinnigen, gerade eingeführten LKW-Abwrackprämie (die gibt's auch für neue Verbrenner)?

Stromimporte

Frank Henning merkt an, dass es uns bei Importstrom völlig egal sei, wie der hergestellt wird. Stimmt, das kann es auch: alle anderen Länder der EU müssen - ebenso wie Deutschland - ihre Emissionen reduzieren. Das bedeutet, auch dort wird der Strom zunehmend sauberer.
Zum Thema Importstrom allgemein: bis dato exportieren wir mehr Strom (aktuell 20 TWh p.a.), als wir importieren. Dazu ein Auszug aus der entprechenden Statistik für das Jahr 2020:

Beim Außenhandel mit Strom wurden bis einschließlich Oktober 34,9 TWh zu einem Wert von 1,5 Mrd. Euro eingeführt. Die Ausfuhr
lag bei 45,2 TWh und einem Wert von 2,05 Mrd. Euro. Im Saldo ergibt sich für die ersten zehn Monate ein Exportüberschuss von 10,3
TWh und Einnahmen im Wert von 549 Mio. Euro. Eingeführter Strom kostete durchschnittlich 42,87 Euro/MWh und ausgeführter
Strom 45,27 Euro/MWh.

Grünstrom-Zertifikate

Das mit dem Zertifikatehandel für grünen Strom (ob nun aus Island oder Norwegen) stimmt leider. Ich halte das ebenfalls auch für Betrug!
Hierzu ein sehr guter Beitrag des WDR zum Thema.

Ausblick

Frank Hennig liegt da völlig richtig: wir brauchen schnellstens 30 - 40 GW Gaskraftwerke (das diese nicht sehr teuer sind, hatte ich weiter oben bereits erläutert) - und natürlich mindestens einen 3-4-fachen Ausbau erneuerbarer Energien.

„Rationiert werden“ muss Strom m. W. nicht, aber wir brauchen Demand Side Management (DSM). Was das genau bedeutet, ist auf dieser Seite recht gut erklärt.
Das kann (und wird) sich auch über den Preis lösen. Das geht nicht nur in privaten Haushalten (die Ihre Wasch- oder Spülmaschine in Schwachlastzeiten laufen lassen, also wenn der Strom billig ist). Auch in der Industrie ist das möglich: Lager für Zwischenprodukte sorgen dafür, dass diese ebenfalls in Schwachlastzeiten produziert werden können.

Der Lastabwurf bei Aluminiumhütten ist übrigens zeitlich begrenzt (m. W. auf 3 Stunden pro Tag). Die Gefahr einer ganztägigen Abschaltung besteht also überhaupt nicht.

Unter dem Titel „Die Zukunft der Energieversorgung ist das Schlüsselthema für das ChemDelta Bavaria“ diskutierten Vertreter der Initiative ChemDelta Bavaria mit Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger und dem Vorstand der Bayernwerk AG Dr. Egon Westphal und TENNET Chief Operating Officer Tim Meyerjürgens. Weitere Einzelheiten zu der Veranstaltung können dieser Pressemitteilung entnommen werden.

Von Albert Duin wird in diesem Zusammenhang ein Strombedarf von „630 TWh pro Jahr“genannt, nur für das ChemDelta.
Es ist unklar, wo diese Zahl herkommt. Der VCI (Verband der Chemischen Industrie) hat im Rahmen einer Studie einen Strombedarf für die gesamte chemische Industrie von 680 TWh ermittelt (das sind 630 TWh mehr als heute) - wohlgemerkt, in 2050.

Zum Abschluss noch ein wenig Selbstbeweihräucherung von Duin: „Wir haben dafür gesorgt, dass...“. Ja, vieles wurde bereits errreicht. Oft, weil Verbote eingeführt wurden (Beispiele: Asbest, FCKW).
So oder so lautet nun die Herausforderung, Emissionen schnellstmöglich zu eliminieren.

Zum Thema Tagebauseen: Es mag sein, dass in irgendwelchen Braunkohlegruben heute Wasser drin ist. Wo das Wasser für die restlichen Gruben herkommen soll, ist jedoch hinsichtlich der Lausitz überhaupt nicht geklärt. Für das Rheinischen Revier ist das zwar geklärt, es dauert allerdings sehr lang.

Fazit

Das Format leidet sehr darunter, das diese „Expertenrunde“ eben nicht aus Experten besteht. Daraus resultieren dann auch die aufgezeigten Falschbehauptungen, Halbwahrheiten und Ungenauigkeiten. Aber genau so erwartet man es auch von einem Stammtischgespräch, nicht wahr!?

Wie vermessen muss man eigentlich sein, um ein wissenschaftliches Thema mit Nicht-Wissenschaftlern erörtern zu wollen? Aber um eine sachliche, korrekte Darstellung und Aufklärung seines Publikums geht es Roland Tichy auch gar nicht. Sein Fokus liegt ganz offensichtlich auf dem Diskreditieren der Energiewende. Das Traurige daran: bei seiner üblichen Klientel verfängt das vermutlich sogar.

Link zum Video

Wer das YouTube-Video mit eigenen Augen sehen möchte: Bitte hier entlang.

Update vom 12. Oktober 2021

  • Link zum Video ans Ende des Beitrags verschoben
  • Erläuterung des Begriffs Volllaststunden eingefügt (Tooltip)
  • Abschnitt „Vahrenholt versteht den CO₂-Preis nicht“ überarbeitet (verständlicher formuliert)
  • Link zum BEHG

Update vom 14. Oktober 2021

  • Ausführungen zu klimawandelbedingten Leistungseinschränkungen und Abschaltungen von Kernkraftwerken präzisiert

Die Ener­gie­wen­de ist der Dreh- und Angel­punkt, wenn es um den Erfolg oder Miss­erfolg bei der Bewäl­ti­gung der Kli­ma­kri­se geht. Gemein­sam mit Dir kön­nen wir den vom Bun­des­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um vor­ge­leg­ten Ent­wurf für die Novel­lie­rung des Erneu­er­ba­re-Ener­gien-Geset­zes (EEG-Novel­le 2021) ver­hin­dern. Denn die­ser reicht bei Wei­tem nicht aus, um die drin­gend not­wen­di­ge Ener­gie­wen­de vor­an­zu­trei­ben. Unter ande­rem wer­den erneut der beschleu­nig­te Aus­bau der Erneu­er­ba­ren Ener­gien und Inves­ti­tio­nen in nach­hal­ti­ge Tech­no­lo­gien suk­zes­si­ve ausgebremst.

Energiewende EEG 2021

Eine erfolg­rei­che Ener­gie­wen­de kann es nur mit einer dezen­tra­len Bürger:innenenergie geben. Ins­be­son­de­re Bürger:innen tra­gen heu­te schon aller­orts in Deutsch­land zur Ener­gie­wen­de mit PV-Klein­an­la­gen bei. Mehr als ein Drit­tel aller Eigentümer:innen von Erneu­er­ba­ren Ener­gie-Anla­gen sind Pri­vat­per­so­nen, die auch bereit sind, das Poten­zi­al der Erneu­er­ba­ren Ener­gien wei­ter aus­zu­schöp­fen. Alle For­de­run­gen dazu fin­dest Du hier.

Die Novel­le soll noch in die­sem Jahr ver­ab­schie­det wer­den. Doch noch ist es nicht zu spät, um das EEG zu ret­ten! Wir kön­nen die Parlamentarier:innen umstim­men. Es liegt an jeder:m Ein­zel­nen von uns, die Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten an das Ver­spre­chen aus dem Pari­ser Kli­ma­ab­kom­men zu erin­nern. For­dern wir sie auf, uns und den nach­fol­gen­den Gene­ra­tio­nen eine kli­ma­si­che­re Zukunft zu ermög­li­chen – auch dank eines star­ken EEGs!

Wie das geht? Mach mit bei der Akti­on von Ger­man­Zero und schreib Dei­nen Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten hier eine Mail.

Vie­len Dank für Dei­ne Unterstützung!

Eigentlich ist die Sache so einfach wie klar: Um die Auswirkungen den menschengemachten Anteils am Klimawandel zu minimieren, müssen wir sämtliche fossilen Brennstoffe im Boden lassen. Und das besser schon ab heute als ab morgen.
Warum ist das also nicht schon längst passiert? Und wie können wir dafür sorgen, dass es passiert?

Weiterlesen

Deutsch­land hat den zweit­höchs­ten Strom­preis in Europa.
In die­sem Bei­trag stel­len wir Ihnen zwei Kos­ten­trei­ber vor und erklä­ren Ihnen, war­um – außer dem End­ver­brau­cher, der das bezah­len muss – kei­ner der Betei­lig­ten Prot­ago­nis­ten ein wirt­schaft­li­ches Inter­es­se dar­an hat, das zu ändern. Dar­über hin­aus ler­nen Sie sinn­vol­le Abhil­fe­maß­nah­men ken­nen und erfah­ren, war­um es auch damit nicht vor­an geht. 

Wei­ter­le­sen

Eigentlich ist die Sache klar: Die Energiewende ist dezentral. Das sieht auch die Europäische Union (EU) so.

Klar, das ist nicht im Interesse der großen Energieversorger, den Big4 (E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall). Und natürlich ebenso wenig im Interesse ihrer zahlreichen Tochterunternehmen wie beispielsweise eprimo oder Yello: schließlich verkaufen alle genannten Unternehmen durch die dezentrale Energieversorgung ("Bürgerenergie") weniger Strom.

Aber wie sehen die von uns gewählten Volksvertreter das eigentlich? Begeben wir uns gemeinsam auf die Suche nach Indizien.

Bundesregierung

Sie interessieren sich nicht für die Details? Dann lesen Sie doch gleich mein Fazit!

Um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass die EU die dezentrale Energiewende befürwortet, muss man lediglich einen Blick in die am 11. Dezember 2018 erlassene Erneuerbare-Energien-Richtlinie (EERL) werfen. Darin heißt es beispielsweise bereits in der Begründung in Punkt 65:

Mit dem Übergang zur dezentralisierten Energieproduktion sind viele Vorteile verbunden, beispielsweise die Nutzung vor Ort verfügbarer Energiequellen, eine bessere lokale Energieversorgungssicherheit, kürzere Transportwege und geringere übertragungsbedingte Energieverluste. Diese Dezentralisierung wirkt sich auch positiv auf die Entwicklung und den Zusammenhalt der Gemeinschaft aus, weil vor Ort Erwerbsquellen und Arbeitsplätze entstehen.

Anscheinend teilt die Bundesregierung diese Einschätzung aber nicht. Wie sonst ist es zu erklären, dass der Ausbau der dezentralen Energieproduktion durch deutsche Gesetze behindert wird? Potenziellen Investoren werden ständig Knüppel zwischen die Beine geworfen, beispielsweise durch komplizierte Gesetze und Richtlinien, durch Beschränkungen sowie eine unnötige Reduzierung der Rendite.

Immer noch nicht beseitigt: Die „Sonnensteuer“

Ein Beispiel für eine solche Ertragsschmälerung verbirgt sich etwa im EEG § 61: Letztverbraucher müssen demzufolge auch für selbst erzeugten und selbst verbrauchten Strom EEG-Umlage zahlen, sofern die Anlagengröße 10 kW überschreitet. Zur Einordnung: Diese Anlagengröße ist bereits bei Einfamilienhäusern sinnvoll, wenn auch das E-Auto mit PV-Strom geladen werden soll.

Gebühren für selbst erzeugten Strom, den ich selbst verbrauche? Da könnte man ja ebenso gut selbst angebautes Obst und Gemüse besteuern, welches ich selbst verzehre. Klingt unsinnig? Ist es auch!

Außer dem gesunden Menschenverstand steht dem auch die bereits erwähnte EERL eindeutig entgegen: Gemäß Art. 21 haben die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass „Eigenversorger im Bereich erneuerbare Elektrizität individuell oder über Aggregatoren berechtigt sind, … erneuerbare Energie einschließlich für die Eigenversorgung zu erzeugen …, ohne dass die eigenerzeugte Elektrizität aus erneuerbaren Quellen, die an Ort und Stelle verbleibt, diskriminierenden oder unverhältnismäßigen Verfahren und jeglichen Abgaben, Umlagen oder Gebühren unterworfen ist“. Mit anderen Worten: Die EEG-Umlage für eigenerzeugten Strom ist gemäß EU-Recht nicht zulässig.

Die Anforderungen der EERL müssen bis zum 30. Juni 2021 in nationales Recht umgesetzt werden.

Die Anforderungen der EERL müssen in nationales Recht umgesetzt werden. Dafür gibt es sogar eine Deadline, nämlich den 30. Juni 2021.
Die EERL stammt aus dem Dezember 2018, heute sind wir also mehr als 18 Monate weiter. Zudem steht eine Änderung des EEG ohnehin gerade an. Da drängt sich die Frage auf, warum die Bundesregierung die „Sonnensteuer“ nicht schon mit der aktuell anstehenden EEG-Novelle abschafft?

Hick-Hack um den Solardeckel

Der sogenannte Solardeckel verhindert die Vergütung (Förderung) von eingespeistem Strom aus PV-Anlagen, sobald die Leistung aller installierten und gemäß EEG geförderten PV-Anlagen 52 GW überschreitet. Diese 52 GW werden in den nächsten Monaten erreicht.

Bereits im September 2019 hat die Bundesregierung beschlossen, diese Regelung ersatzlos abzuschaffen. Passiert ist bis heute jedoch - nichts. Ungeachtet der ständigen, fast Mantra-artigen Wiederholungen des Beschlusses und der entsprechenden Beteuerungen: Die Abschaffung des Solardeckels ist bis heute nicht im Bundesgesetzblatt veröffentlicht.

Die inzwischen seit über einem halben Jahr ungeklärte Situation stellt im Ergebnis eine erhebliche Investitionsbarriere dar!

Diese inzwischen seit über einem halben Jahr ungeklärte Situation stellt im Ergebnis eine erhebliche Investitionsbarriere dar: Bevor jemand eine Investition für beispielsweise eine Dach-PV-Anlage tätigt, will dieser Jemand berechtigterweise deren Wirtschaftlichkeit beurteilen können.
Das ist aber nicht möglich, wenn unklar ist, wie mit dem nicht selbstgenutzem Strom verfahren wird, also ob und welche Vergütung dafür in Ansatz gebracht werden kann.

Aber selbst wenn der 52-GW-Deckel nun endlich abgeschafft würde, ist das nächste Problem bezüglich des PV-Ausbaus bereits am Horizont sichtbar: die Rede ist vom "atmenden Deckel", der Absenkung der Einspeisevergütung in Abhängigkeit des PV-Zubaus (EEG, § 49).
Entsprechenden Zubau vorausgesetzt, ist ein wirtschaftlicher Betrieb von vorwiegend netzeinspeisenden PV-Anlagen dann wohl nicht mehr möglich.

Das Mieterstromgesetz hat Mieterstrom eher komplizierter gemacht

Immer dann, wenn Besitzer und ausschließlicher Nutzer einer Immobilie identisch sind, ist die Förderung erneuerbarer Energien im EEG geregelt. Das gilt für das private Einfamilienhaus ebenso wie für ein Gewerbeobjekt.
Aber was passiert, wenn Gebäudeteile vermietet sind, es also mehrere Nutzer gibt? Dazu zählt beispielsweise jedes Mehrfamilienhaus. Wie können sowohl Vermieter als auch Mieter von einer Photovoltaikanlage auf dem Dach des Gebäudes profitieren? Wie wird der damit erzeugte Mieterstrom abgerechnet? Welche Umlagen sind dafür zu entrichten?
Das alles wird seit 2017 im Mieterstromgesetz geregelt, welches den Bau von PV-Anlagen auf den Dächern von Mietshäusern vereinfachen soll - eigentlich.

Von „einfach“ kann nämlich absolut keine Rede sein! Ein Forschungsprojekt hat dies untersucht und dokumentiert („Zukunftsfeld Mieterstrommodelle: Potentiale von Mieterstrom in Deutschland mit einem Fokus auf Bürgerenergie“).
Das Forscherteam schreibt in seiner Zusammenfassung: „Der Entfaltung dieser allgemeinen Potentiale von Mieterstrom stehen allerdings einige hemmende Faktoren im Wege. Dazu gehört an erster Stelle die Komplexität durch die rechtlichen Rahmenbedingungen, die durch das Mieterstromgesetz teilweise sogar noch erhöht worden ist.
In der Praxis führen ferner eine fehlende Einheitlichkeit bzw. Standardisierungsprobleme dazu, dass die Wirtschaftlichkeit von Mieterstromprojekten häufig unklar ist.
Unter technischen Gesichtspunkten bestehen besonders große Herausforderungen beim Messkonzept und Abrechnungssystem, die eine einfache und schnelle Umsetzung von Mieterstromprojekten behindern.

Die Wissenschaft wird auch von der Praxis unterstützt

Dies wird auch durch praktische Erfahrungen in meinem direkten Umfeld bestätigt. So schreibt mir ein persönlich bekannter (privater) Immobilien-Investor (ihm gehören fünf Objekte):
Nach dem Bau von 5 PV-Anlagen bin ich mir ganz sicher, dass das ‚von oben‘ nicht gewünscht ist. Denn sonst hätte ich irgendwie Förderung und nicht nur Widerstand erfahren.
Wenn eine genehmige Anlage beim Netzbetreiber als ‚fertig‘ gemeldet wurde, dann dauerte es 3-6 Monate bis ein bidirektionaler Zähler gesetzt war, der auch die Einspeisung misst.
An den zuständigen Netzbetreiber muss ich wegen der EEG-Umlage genau die gleichen Prognosen und Abrechnungen liefern wie zum Beispiel RWE. Das schaffen sicher nur wenige Solokünstler [Anm. des Autors: der Mann ist Elektroingenieur].
Und last but not least: eventuell entstehende Gewinne werden ganz sicher durch die Notwendigkeit einer Firma mit Zwang eines Steuerberaters aufgefressen.

Nur die Spitze des Eisbergs

Das waren nur drei Beispiele für Hemmnisse der dezentralen Energiewende, insbesondere dem Ausbau von Photovoltaikanlagen durch deutsche Gesetze. Im Rahmen dieses Beitrags wollen wir es zugunsten anderer Themenbereiche dabei belassen.
Viele weitere Beispiele hat die Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (htw) im Rahmen des Forschungsprojekts PV2City gesammelt. Diese Seite enthält eine kurze Einführung in das Thema sowie einen Download-Link der von der Forschungsgruppe rund um Prof. Volker Quaschning zusammengestellten Liste.

PCsicher Banner

Das Kohleausstiegsgesetz: Doch eher ein KohleEINstiegsgesetz?

Dieses Gesetz, welches derzeit als Entwurf vorliegt und noch vor der Sommerpause vom Bundestag beschlossen werden soll, dient "zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung" - zumindest der Überschrift nach. Das Gesetz hat es jedoch bin sich!

Kohleausstiegsgesetz: der Name ist ein klassischer Fall von Etikettenschwindel

Gemäß § 42 des Gesetzentwurfs möchte die Bundesregierung sämtliche Regelungen mit den Betreibern von Braunkohleanlagen, beziehungsweise Braunkohletagebauunternehmen in einen öffentlich-rechtlichen Vertrag auslagern. Damit wären entsprechende Regelungen nicht öffentlich einsehbar (damit haben wir beispielsweise im Zusammenhang mit Andreas Scheuers Mautverträgen schon schlechte Erfahrungen gemacht).

Ebenfalls möchte die Bundesregierung in diesem Vertrag die „energiewirtschaftlichen Notwendigkeit des Tagebaus Garzweiler“ feststellen. Zur Klarstellung: damit würde die Braunkohleförderung und -verstromung durch die RWE AG für weitere 18(!) Jahre festgeschrieben, und zwar unabänderlich!
Hier wäre es sehr spannend zu erfahren, worin genau die Notwendigkeit denn begründet liegt? Gibt es dazu ein Gutachten (Äußerungen/Einschätzungen seitens RWE zählen aus meiner Sicht NICHT dazu!)? Oder ist diese Feststellung am Ende nur politisch motiviert?
Mir liegt jedenfalls ein Gutachten vor, welches dem widerspricht! Einzelheiten dazu auf dieser Seite.

Und dann sind da ja auch noch die Entschädigungszahlungen: 2,6 Milliarden Euro für Braunkohleanlagen im Rheinland und 1,75 Milliarden Euro für die Braunkohleanlagen in der Lausitz.
Dazu heißt es, dass diese „für die Deckung der Kosten der Rekultivierung und Wiedernutzbarmachung der Tagebaue und aller Tagebaufolgekosten“ verwendet werden sollen.

Jeder, der einen Schaden verursacht, hat diesen auch wieder zu beseitigen - und zwar ohne dafür irgendeine Entschädigung zu erhalten.

Aber versteht es sich nicht von selbst, dass ich einen Schaden, den ich angerichtet habe, wieder beseitige? Und zwar ohne dafür eine Entschädigung zu erhalten!

Wie lange ist der Betrieb von Kohlekraftwerken noch wirtschaftlich?

Eine Komponente, aus der sich die genannten Entschädigungszahlungen berechnen, ist der durch die vorzeitige Abschaltung zu erwartende Ertragsausfall für die betroffenen Unternehmen.

Nach Berechnungen vom Ramez Naam, einem anerkannten Experten für Energie und Umwelt, werden die Kosten für den Neubau eines Solarparks deutlich vor Ablauf der 18 Jahre unter die Kosten fallen, die beim Weiterbetrieb eines bestehenden fossilen Kraftwerks entstehen (s. nachfolgende Grafik).

Zukünftige Kosten Solarprojekte bis 2050

Bei den Betriebskosten sind innerhalb der EU zusätzlich die Kosten für die erforderlichen Emissionszertifikate zu berücksichtigen. Die nachfolgende Grafik zeigt die Preisentwicklung der ETS-Zertifikate (€/tCO₂) in den letzten Jahren (blaue Linie, Quelle).

Preisverlauf Überschüsse ETS-Zertifikate
Zur besseren Einordnung: Ein Braunkohlekraftwerk erzeugt bei der Kohleverstromung etwa 1,2 tCO₂/MWh (Berechnungsgrundlage: Verbrennung Braunkohle = 0,41 kgCO₂ / kWh, angen. Wirkungsgrad Kraftwerk 35% => 1,17 tCO₂ / MWh).

Unterm Strich ist also davon auszugehen, dass RWE & Co. ihre zunehmend unrentablen Kraftwerke noch vor 2030 von ganz alleine abschalten würden.

Verschärfung der Schadstoffgrenzwerte

Spätestens ab Juli 2021 (Ende der Umsetzungsfrist in nationales Recht) gelten gemäß den EU-Vorgaben zu Schadstoffgrenzwerten für Großfeuerungsanlagen („BREF-Richtlinie“) strengere Grenzwerte für Stickstoffoxid, Quecksilber und Rußpartikel (das Mitgliedsland Deutschland hat übrigens gegen die Verschärfung der Grenzwerte gestimmt). Die wenigsten Kraftwerke entsprechen diesen Vorgaben.
Hier stellt sich im Einzelfall also die Frage, ob ein entsprechender Umbau technisch überhaupt möglich ist und wenn ja, ob dieser auch wirtschaftlich sinnvoll ist. Im Ergebnis werden viele Kohlekraftwerke in Europa schließen müssen, darunter auch in Deutschland.

Aus dem begrenzten Zeitraum, in dem ein Kohlekraftwerk noch wirtschaftlich betrieben werden kann und vor dem Hintergrund der ab Mitte nächsten Jahres verschärften Bestimmungen der BREF-Richtlinie ergibt sich, dass die Höhe der vorgesehenen Entschädigungszahlungen mindestens fragwürdig ist.

Die Bundesregierung sollte deshalb die Zeit bis zur Verabschiedung des Kohleausstiegsgesetzes sinnvoll nutzen und an verschiedenen Stellen nachbessern.

Schaffung neuer Geschäftsmodelle für Netzbetreiber

Es liegt auf der Hand, dass Verbraucher bei zunehmendem dezentralen Ausbau erneuerbarer Energien immer weniger Strom von ihrem Versorger beziehen.
Der großflächige Einbau lokaler Speicher (egal ob Batterie, E-Auto oder Brennstoffzelle) wäre vermutlich sogar der Todesstoß für die etablierten Konzerne: Die Eigenverbrauchsquote würde signifikant steigen, es ließen sich nochmals deutlich weniger Kilowattstunden an die Verbraucher verkaufen.

Die Geschäftsmodelle der Big4 und der Netzbetreiber werden also zukünftig in ihrer bisherigen Form nicht mehr funktionieren - also müssen neue her! Außer den betroffenen Unternehmen weiß das natürlich auch die Bundesregierung - und springt den Unternehmen helfend zur Seite.

Gutachten „Barometer Digitalisierung der Energiewende“

Nur wenigen ist das genannte Gutachten bekannt, selbst Fachleute aus dem Bereich erneuerbare Energien haben kaum von diesem Gutachten gehört. Der Name klingt ja auch zunächst recht unverfänglich.
ABER: Im Kern geht es darum, Eigenversorgung zukünftig zu verhindern, und zwar durch eine neue Netzentgeltsystematik (hohe Grundpreise, niedrige Arbeitspreise).
Klaus Oberzig hat das hier bereits ganz hervorragend analysiert, daher spare ich mir die Mühe an dieser Stelle.

Die Bundesnetzagentur als Erfüllungsgehilfe

Das vorgenannte Barometer-Gutachten enthält Vorschläge bezüglich einer neuen Netzentgeltsystematik.

Die Netzentgeltsystematik ist das Fundament welches notwendig ist, um zu verhindern, dass Verbraucher von der dezentralen Energiewende profitieren.

Darauf aufbauend versetzt die Bundesnetzagentur der Eigenversorgung dann den Todesstoß, nämlich mit ihrem Dokument „Marktintegration ausgeförderter und neuer Prosumer-Anlagen“ (beziehungsweise den darin enthaltenen Lösungsvorschlägen).

Prosumer sind alle Stromverbraucher, die gleichzeitig auch Stromerzeuger sind.
Alle drei im Dokument vorgestellten Prosumer-Modelle basieren auf der Grundlage, dass der Netzbetreiber den vom Prosumer erzeugten Strom zunächst komplett abnimmt. Dafür braucht es gegenüber dem Zustand heute einen zusätzlichen Zähler, welcher die gesamte Menge erzeugter erneuerbarer Energie zählt.
Der Prosumer muss anschließend seinen kompletten(!) Verbrauch vom Netzbetreiber kaufen.
Besonders anschaulich dargestellt wird das auf den letzten drei Seiten des Dokuments, in denen mit konkreten Zahlenbeispielen gearbeitet wird.

Zwei Erkenntnisse daraus:

  • Über eine Veränderung der Parametrierung (u. A. monatlicher Grundpreis, Abnahmepreis, Bezugspreis) lässt sich zentral (also durch den Netzbetreiber) steuern, inwieweit Eigenverbrauch überhaupt noch wirtschaftlich ist.
  • Lokale Speicher (Brennstoffzelle, E-Auto, …) kommen in den drei vorgestellten Modellen überhaupt nicht vor. Bei der Beschreibung der „Lieferanten-Option“ ist sogar die Rede davon, dass wegen der „symmetrischen Bepreisung von Einspeisung und Netzbezug das Netz für den Prosumer wie ein unbegrenzter Speicher wirkt“. Klingt doch toll, also keinen lokalen Speicher bauen, beziehungsweise nutzen, oder?
    Die Haken an der Sache:

    • Über den zusätzlichen Zähler unmittelbar an der Erzeugungsanlage (zum Beispiel PV-Anlage) weiß der Netzbetreiber in jedem Fall, wie viel Energie erzeugt wurde - unabhängig davon, ob diese nun ins Netz eingespeist oder zunächst lokal gespeichert wird. Diese Information lässt sich hervorragend zum Optimieren der Parametrierung verwenden - natürlich ganz im Sinne des Netzbetreibers.
    • Über den monatlichen Basispreis, der "pro kW" gezahlt wird, kann der Lieferant sehr präzise steuern, wie viel Geld der Prosumer zu zahlen hat - selbst wenn er 100% Eigenverbrauch hätte.

Nicht überraschend:  dagegen gibt es bereits erste Proteste.

PCsicher Banner

Fazit

  • Die Bundesregierung mit ihren nachgelagerten Ministerien und Behörden verhindert, beziehungsweise verzögert die dezentrale Energiewende, wo immer sich die Möglichkeit bietet.
  • Sie schützt und unterstützt die bisherigen Geschäftsmodelle der Big4, wo immer sie kann und so lange dies möglich ist.
  • Die Bundesregierung schafft bereits jetzt die Grundlage für neue Einnahmequellen der Big4 und der Netzbetreiber, da das bisherige Vorgehen schon allein wegen der EU-Gesetzgebung nicht mehr lange in der jetzigen Form fortgeführt werden kann.
Weiterführende Literatur

Bundesregierung: Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung zur Umsetzung des Klimaschutzplans 2050

Clearingstelle EEG - KWKG: Richtlinie (EU) 2018/2001 - Erneuerbare-Energien-Richtlinie (EERL)

Solarserver: Marktbefragung: 52-GW-Deckel ist Investitionsbarriere für Photovoltaik

Pressemitteilung von Parents For Future: Kohleausstiegsgesetz mutiert zum Klima- und Wirtschaftskiller!

energate messenger 04/2017: EU verschärft Standards für Kraftwerksemissionen