Wasserstoffstrategie Wasserstoff aus Australien: Eine gute Idee?
Zuletzt aktualisiert am 30. Dezember 2021 durch Jürgen Voskuhl
Laut einer Pressemitteilung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) soll zwischen 2020 bis Ende 2022 eine Machbarkeitsstudie zu einer deutsch-australischen Lieferkette für Wasserstoff auf Basis erneuerbarer Energien erstellt werden. Im Klartext: die Bundesregierung hält den Import von Wasserstoff aus Australien immerhin für so sinnvoll, dass sie bereit ist, für diese Studie 1,5 Millionen Euro auszugeben.
Ich habe mich intensiv mit dem Thema beschäftigt. Meine Ergebnisse und der aktuelle Stand der Technik in diesen Beitrag.
Am 10. September 2020 veröffentlichte das BMBF eine Pressemitteilung, der zufolge Bundesforschungsministerin Anja Karliczek sowie zwei Vertreter der australischen Regierung eine gemeinsame Absichtserklärung zur Durchführung einer Machbarkeitsstudie zu einer deutsch-australischen Lieferkette für Wasserstoff auf Basis erneuerbarer Energien unterzeichnet haben. Das wirft zumindest bei mir einige Fragen auf, die ich versuche, in diesem Beitrag zu beantworten. Im einzelnen geht es um folgende Themen:
- Die Randbedingungen
- Transport als Flüssig-Wasserstoff (LH₂)
- Die volumetrische Energiedichte von LH₂
- Welche LH₂-Tanker gibt es heute und in Zukunft?
- Wie lange dauert die Überfahrt von Australien nach Deutschland?
- Energiebedarf für die Umwandlung von Wasserstoff in LH₂
- Verluste durch Verdampfen während des Transports
- Mehrkosten im Vergleich zu Flüssiggas-Transporten
- Kraftstoffverbrauch des Brennstoffzellenantriebs
- Was sagen Experten zum Transport von flüssigem Wasserstoff?
- Mein Fazit
Die Randbedingungen
Um welche Mengen Wasserstoff geht es?
Zufällig bin ich auf eine korrespondierende Meldung im Sydney Morning Herald gestoßen, die erfreulicherweise ein paar konkrete Zahlen enthält. In dem Artikel heißt es:
Karliczek said Germany had identified a hydrogen demand of about 1000 TWh per year by 2030, which is equivalent to about 3 million tonnes.
Und weiter:
"Of this amount, 15 per cent is expected to be generated domestically, while the remaining amount will need to be imported," she said.
Wow, Moment mal!
Laut Umweltbundesamt beträgt der GESAMTE Endenergieverbrauch in Deutschland derzeit ca. 2.500 TWh pro Jahr. Der Anteil der Industrie daran: 736 TWh (in 2018).
Da scheinen 100 TWh Wasserstoff in 2030 eher realistisch zu sein als die genannten 1.000 TWh. Das bestätigt auch eine Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der FDP. Gehen wir also davon aus, das es sich um einen Zitatfehler des Sydney Morning Herald handelt, vernachlässigen den in Deutschland hergestellten Anteil und rechnen der Einfachheit halber mit 100 TWh weiter. Wir nehmen außerdem an, dass die gesamte Menge aus Australien stammt. Das ist zwar unrealistisch, hilft aber bei der Veranschaulichung der Probleme.
Wie kann der Wasserstoff von Australien nach Deutschland transportiert werden?
Es liegt auf der Hand, dass der Transport aufgrund der Entfernung ausschließlich über den Seeweg erfolgen kann.
Eine Variante wäre, den Wasserstoff in verflüssigter Form zu transportieren, d.h. bei circa -253 ℃ als sogenanntes LH₂. Das schauen wir uns in diesem Beitrag genau an.
Es gibt aber auch noch andere Möglichkeiten, Wasserstoff zu transportieren. Dazu gehört der Transport in Form von Ammoniak (NH₃), Methanol (CH3OH) oder gebunden an LOHC (Liquid Organic Hydrogen Carriers), eine organischen Substanz, die Wasserstoff chemisch bindet. Damit werde ich mich in nachfolgenden Beiträgen beschäftigen.
Transport als Flüssig-Wasserstoff (LH₂)
Die volumetrische Energiedichte von LH₂
Eine Variante wäre, den Wasserstoff in verflüssigter Form zu transportieren, d.h. bei circa -253 ℃ als sogenanntes LH₂.
Die volumetrische Energiedichte von LH₂ beträgt 2,36 kWh/l (Link). Zum Vergleich: Das ist etwa 40 Prozent gegenüber verflüssigtem Erdgas (LNG, 5,8 kWh/l), gegenüber Rohöl (10,9 kWh/l) sogar weniger als ein Viertel .
Die oben genannten 100 TWh entsprechen also etwas mehr als 42 Mio. m³ LH₂.
Angenommen wir würden den benötigten Wasserstoff komplett aus Australien importieren, lautet die nächste spannende Frage:
Wieviele LH₂-Tanker benötigen wir dafür?
Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir uns zunächst mit in Frage kommenden Schiffsmodellen und der Reisedauer beschäftigen.
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Welche LH₂-Tanker gibt es heute und in Zukunft?
LH₂-Tanker sind sehr neu. Genaugenommen gibt es gerade mal ein solches Schiff, die „Suiso Frontier“: Die Firma Kawasaki Heavy Industries (KHI) baut die Schiffe, die für den Transport von LH₂ zwischen Australien & Japan eingesetzt werden sollen. Hier eine Pressemeldung vom Baubeginn und hier eine entsprechende Präsentation von KHI. Darin finden wir auch die „Tank cargo capacity”, also die für die Fracht verfügbare Kapazität des Demo-Tankers: es sind 1.250 m3. Der Plan ist, die Kapazität auf 4.000 m³ zu erhöhen.
Update 30.12.2021: Am 24. Dezember 2021 hat das Schiff erstmalig Kobe (Japan) verlassen, beladen mit 75 t Wasserstoff in einem der beiden Tanks. In Hastings (Australien) soll das Schiff dann 2 t Wasserstoff aufnehmen, um das während der Überfahrt verloren gegangene Boil-Off-Gas zu ersetzen, um dann im späten Februar 2022 wieder in Kobe einzutreffen.
Ein anderes LH₂-Tankerkonzept stammt aus einer Zusammenarbeit zwischen Moss Maritime, Equinor, Wilhelmsen und DNV-GL. Die Kapazität hier: 9.000 m³. Das Schiff ist für eine maximale Reisedauer von 25 Tagen ausgelegt.
Ein weiteres Design, mit einer Frachtkapazität von 8.000 m³ stammt von ICE Marine Design.
Legen wir die 8.000 m³ zugrunde, müssten für die 100 TWh/a knapp 5.300(!) von diesen Tankern im Jahr In D ankommen, also knapp 15 am Tag. Es ist offensichtlich, dass das wenig sinnvoll ist. Suchen wir also weiter!
Die ambitiöseste Idee, die ich finden konnte, stammt ebenfalls von KHI (in dieser Präsentation, Folie 10): ein LH₂-Tanker mit einer Kapazität von 160.000 m³. Allerdings existiert von diesem Schiff bisher lediglich ein Rendering. Fertigstellung: frühestens 2025 (aus heutiger Sicht eher 2028). Selbst wenn wir diesen Typ zugrunde legen, benötigen wir 263 Schiffsankünfte pro Jahr, um die zu importierende Menge Wasserstoff zu transportieren.
Update 30.12.2021: Das Tanksystem (CCS = Cargo Containment System), d.h. ein 40.000 m³-Tank für sich, hat inzwischen ein „Approval in Principal“ (AiP) der Schiffsklassifikationsgesellschaft ClassNK erhalten. Darüber hinaus hat ClassNK bestätigt, dass das CCS den einschlägigen Sicherheitsbestimmungen für den Schiffstransport von LH₂ entspricht.
Wie lange dauert die Überfahrt von Australien nach Deutschland?
Die mittlere Geschwindigkeit eines Tankers beträgt etwa 15 Knoten. Auf der Website searates.com kann man ausrechnen, wie lange eine Überfahrt von A nach B bei einer bestimmten Geschwindigkeit dauert. Von Australien (Gladstone Deepwater Port) nach Hamburg sind das etwa 33 ½ Tage - ohne Liegezeit, versteht sich. Inklusive Liegezeit und Rückfahrt kann man also etwa von 70 Tagen für einen kompletten Umlauf ausgehen.
ausgehen. Das bedeutet, wir können ein Schiff erst am 66. Tag für die nächste Überfahrt neu beladen.
Somit benötigen wir ca. 50(!) dieser Schiffe - von denen, wohlgemerkt, noch nicht einmal ein konkretes Design existiert!
Man benötigt mindestens 50 LH₂-Tanker, von denen bis heute nicht mehr als die Idee und ein Rendering existiert.
Letzteres ist auch nicht weiter überraschend: Die Technologie ist völlig neu, KHI will (muss) zunächst mal Erfahrungen mit dem oben beschriebenen Prototypen sammeln, um die Projektierung solcher Ozeanriesen in Angriff zu nehmen. Im Hinblick auf 2030 könnte das eng werden: Planung und Bau dauern bei einem Tanker dieser Größenordnung gerne mal 3-4 Jahre.
Energiebedarf für die Umwandlung von Wasserstoff in LH₂
Neben der beschriebenen logistischen Herausforderung gibt es durchaus noch weitere Faktoren, die zu berücksichtigen sind.
So wird beispielsweise allein für die Verflüssigung des Wasserstoffs knapp 1/3 der darin gespeicherten Energie benötigt (ergo: 30% Verluste, vgl. _A_review_of_hydrogen_liquefaction_current_situation_and_its_future). Die Hoffnung ist, dies im besten Fall zu halbieren.
Verluste durch Verdampfen während des Transports
Das auf - 253 ℃ heruntergekühlte LH₂ in einem Tank zu transportieren, muss man sich ungefähr so vorstellen, als wolle man eine Kugel Eis in einem auf 200 ℃ aufgeheizten Backofen aufbewahren. Wir müssen deshalb über das sogenannte „Boil-Off” sprechen.
Egal, wie gut die Tanks isoliert sind: Das LH₂ erwärmt sich. Ein Teil verdampft, wobei dieser sich ausdehnt. Damit der entstehende Überdruck nicht den Tank zum bersten bringt, muss man Wasserstoff ablassen. Theoretisch ist das nicht tragisch: man könnte damit den Tanker antreiben. Aber: von den 100%, die man in Australien eingefüllt hat, kommt hier einiges gar nicht an. Das Ziel für den Verlust beträgt etwa 0.2%/Tag. Bei 30 Tagen Reisedauer also knapp 6%.
Mehrkosten im Vergleich zu Flüssiggas-Transporten
Seit vielen Jahren sind LNG-Tanker etabliert. LNG steht für „Liquid Natural Gas", also verflüssigtes Erdgas (CH₄). LNG wird bei -160 ℃ transportiert. Da liegt - nach allem was wir bis hierher wissen - die Vermutung nahe, dass das „bei LH₂ schon so ähnlich sein wird”. Dem ist leider nicht so.
Beispielsweise sind Komponenten wie Ventile, Schläuche und Rohrleitungen, nicht unbedingt für den LH2-Transport geeignet: H₂-Moleküle sind kleiner als CH₄-Moleküle. Daher kann LH₂ durch durch Verbindungen oder Dichtungen entweichen, die LNG zurückhalten würden. Die meisten Komponenten wird man daher nicht verwenden können, was einen LH₂-Tanker gegenüber einem LNG-Tanker teurer macht.
Neben den Armaturen ist auch die Tankkonstruktion aufwändiger. So werden LNG-Tanks typischerweise mit 40 cm Isolierung versehen. Die Boil-Off-Rate beträgt dann etwa 0,2% pro Tag. Würde man LH₂ in den Tank einfüllen, würde man täglich 5% verlieren! Es braucht hier offensichtlich eine völlig andere Tankkonstruktion.
Ein mehrschichtiger Ansatz mit einem Vakuum zwischen der Innen- und Außenhülle wird bereits verwendet, um LH₂ und flüssiges Helium im industriellen Sektor kalt zu halten. Aber das findet an Land statt. Der Einsatz auf einem Schiff ist nochmal einen neue Herausforderung. Man wird abwarten müssen, ob und gegebenenfalls welche Probleme sich bei dem oben beschriebenen Demonstrationstanker einstellen, wenn dieser in Betrieb ist.
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Kraftstoffverbrauch des Brennstoffzellenantriebs
Wir erinnern uns: LH₂ hat einen sehr niedrigen volumetrischen Energiegehalt. Daraus resultiert, dass man im Vergleich zu Schweröl oder Flüssiggas, mit dem solche Tanker aktuell angetrieben werden, ein Vielfaches des Treibstoff-Volumens benötigt. Auf Kurzstrecken, wenn also alle paar Tage nachgetankt werden kann, mag das eine untergeordnete Rolle spielen.
Auf einer Langstrecke sieht das jedoch anders aus: Für die beiden Überfahrten (2 x 12.481 n.m.) werden etwa 3.000 m³ LH₂ benötigt (0,025 kWh/n.m./dwt bei 11.200 t und einer Energiedichte von 2,359 kWh/l LH₂) - also knapp zwei Prozent der Ladung. Zumindest auf der Hinfahrt (also von Australien nach Deutschland) ist das gegenüber dem Boil-Off vernachlässigbar, sofern dieser für den Antrieb verwendet werden kann. Verbleiben also noch ein Prozent der Ladung, die als Treibstoff für die Rückfahrt benötigt wird.
Was sagen Experten zum Transport von flüssigem Wasserstoff?
Martin Hablutzel, Leiter für die Konzernstrategie bei Siemens Australien, ist überzeugt, das Australien als Wasserstoffproduzent für Deutschland wohl nicht infrage kommt, da Australien bevorzugt Asien (China, Japan, Südkorea und Singapur) damit beliefern wird.
Mein Fazit
Der Transport von flüssigem Wasserstoff über Ozeane wurde noch nie zuvor durchgeführt. Die Entwicklung ist mit einem hohen Risiko behaftet. Der Transportweg einschließlich der anfallenden Umwandlungsverluste ist in jedem Fall sehr ineffizient.
Der Transport von flüssigem Wasserstoff über einen derart langen Seeweg birgt im Vergleich zur kontinentalen Produktion potenziell erhebliche Nachteile und Risiken.
Im Ergebnis kann ich hier keinen keinen Vorteil im Vergleich zur Herstellung von Wasserstoff beispielsweise in der Nordsee oder lokal bei industriellen Verbrauchern erkennen. Das Gegenteil ist der Fall: Der Transport von flüssigem Wasserstoff über einen derart langen Seeweg birgt eher Nachteile und erhebliche Risiken.
Updates
30.12.2021: Die Suiso Frontier ist erstmalig ausgelaufen; dass 40.000 m³ Tanksystem von KHI hat eine eine prinzipielle Zulassung von ClassNK erhalten; übertriebene Schätzung beim Kraftstoffverbrauch korrigiert, bzw. durch transparente, überprüfbare Berechnung ersetzt; interessante Quellen hinzugefügt (s. u.)
Quellen / Weiterführende Literatur
BMBF (10.09.2020): Karliczek: Gemeinsam mit Australien für eine globale grüne Wasserstoffwirtschaft
BMBF (01.12.2020): Karliczek: Wichtiger Impuls für eine deutsch-australische „Wasserstoffbrücke“
From LNG to Hydrogen? Pitfalls and Possibilities (August 2018)
Liquid Hydrogen: A Review on Liquefaction, Storage, Transportation, and Safety
(2021) A hydrogen fuelled LH2 tanker ship design, Ships and Offshore Structures, DOI: 10.1080/17445302.2021.1935626
Linde Gas AT: Rechnen Sie mit Wasserstoff. Die Datentabelle.
Bännstrand, Maria & Jönsson, Anna & Von Knorring, Hannes & Karlsson, Roger. (2016). Study on the optimization of energy consumption as part of implementation of a ship energy efficiency management plan (SEEMP).
Lennie Klebanoff, Sandia National Laboratories (2019): On the Feasibility and Characteristics of Hydrogen Fuel-Cell Vessels
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