Johan Rockström @ TED Konferenz
10 Jahre, um die Zukunft der Menschheit zu verändern – oder den Planeten zu destabilisieren
Johan Rockström @ TED Konferenz
Wie steht es um unseren Planeten? Welche Bedeutung haben Kipppunkte?
Im Rahmen der TED-Konferenz hat Johan Rockström dazu einen beeindruckenden Vortrag gehalten. Hier die deutsche Übersetzung.
Warum ich den Text übersetzt habe? Das habe ich bereits in einem anderen Beitrag erläutert.
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So, nun aber das Vortragsvideo anklicken und parallel hier mitlesen!
(Pieptöne) | |
00:07 | [Countdown] |
00:09 | (Clapboard klatscht) |
00:11 | Zehn Jahre sind für uns Menschen auf der Erde eine lange Zeit. Zehn mal um die Sonne. Als ich vor einem Jahrzehnt auf der TED-Bühne stand, sprach ich über planetare Grenzen, die unseren Planeten in einem Zustand halten, der der Menschheit Wohlstand ermöglicht. Der zentrale Punkt ist, dass sich die Risiken zu vervielfachen beginnen, sobald man eine Grenze überschreitet. Die planetaren Grenzen sind alle eng miteinander verbunden. Aber das Klima bildet zusammen mit der biologischen Vielfalt eine zentrale Grenze. Beide wirken sich auf alle anderen aus. |
00:41 | Damals dachten wir wirklich, wir hätten mehr Zeit. Sicher, die Warnlichter waren bereits an. Aber seinerzeit war noch kein unaufhaltsamer Wandel ausgelöst. Seit meinem damaligen Vortrag mehren sich aber die Anzeichen, dass wir uns rasch von dem für die Menschheit sicheren Bereich auf der Erde entfernen. Das Klima hat einen globalen Krisenpunkt erreicht. Wir haben jetzt 10 Jahre lang rekordverdächtige Klimaextreme erlebt: Brände in Australien, Sibirien, Kalifornien und im Amazonasgebiet, Überschwemmungen in China, Bangladesch und Indien. Wir erleben jetzt Hitzewellen auf der gesamten Nordhalbkugel. Wir riskieren Kipppunkte zu überschreiten, die den Planeten, unseren besten widerstandsfähigen Freund, der unsere Einflussnahme dämpft, dazu bringen, gegen uns zu arbeiten und die Hitze zu verstärken. |
01:29 | Zum ersten Mal sind wir gezwungen, die reale Gefahr einer Destabilisierung des gesamten Planeten in Betracht zu ziehen. Unsere Kinder können dies sehen. Sie verlassen die Schulen, um Taten zu fordern. Und sie blicken ungläubig auf unsere Unfähigkeit, Risiken mit potenziell katastrophalen Folgen auszuweichen. In den nächsten 10 Jahren, bis 2030, muss der tiefgreifendste Wandel stattfinden, den die Welt je erlebt hat. Das ist unser Auftrag. Dies ist der Countdown. |
02:00 | (Ticken einer Uhr) |
02:01 | Als meine wissenschaftlichen Kollegen vor etwa einem Jahrzehnt erstmalig den Stand des Wissens über Klimakipppunkte zusammenfassten, gab es nur an einer Stelle starke Hinweise auf eine ernsthafte Abwärtsspirale: Arktisches Meereis. (Wassergeräusche) Andere Wendepunkte waren weit entfernt - 50 oder 100 Umdrehungen um die Sonne. |
02:24 | Erst im letzten Jahr haben wir uns diese Systeme noch einmal angeschaut, und ich bekam den Schock meiner Karriere: Wir sind nur noch wenige Jahrzehnte von einer Arktis ohne Meereis im Sommer entfernt. In Sibirien taut der Permafrost jetzt in dramatischen Ausmaßen auf. Grönland verliert Billionen Tonnen Eis und nähert sich möglicherweise einem Wendepunkt. Die großen Wälder des Nordens brennen mit Rauchfahnen von der Größe Europas. Die Zirkulation des Atlantischen Ozeans verlangsamt sich. Der Amazonas-Regenwald wird schwächer und könnte in 15 Jahren beginnen, Kohlenstoff auszustoßen. Die Hälfte der Korallen des Great-Barrier-Riffs ist abgestorben. Die Westantarktis hat möglicherweise bereits heute den Kipppunkt überschritten. Und jetzt werden Teile des festesten Gletschers der Erde, der Ostantarktis, instabil. Neun der 15 großen biophysikalischen Systeme, die das Klima regulieren, sind jetzt in Bewegung, zeigen besorgniserregende Anzeichen des Niedergangs und nähern sich möglicherweise ihren Kipppunkten. |
03:26 | Tipping Points bringen drei Bedrohungen mit sich. Erstens: Der Anstieg des Meeresspiegels. Wir können bereits in diesem Jahrhundert mit bis zu einem Meter rechnen. Dies wird die Häuser von 200 Millionen Menschen gefährden. Aber wenn wir das schmelzende Eis der Antarktis und Grönlands in die Gleichung einbeziehen, könnte dies zu einem Anstieg um zwei Meter führen. Aber das ist noch nicht alles, es wird noch schlimmer werden. |
03:51 | Zweitens: Wenn unsere Kohlenstoffspeicher wie der Permafrostboden und die Wälder umschlagen und beginnen, Kohlenstoff auszustossen, dann macht dies die Aufgabe der Temperaturstabilisierung sehr viel schwieriger. |
04:01 | Und drittens sind all diese Systeme wie Dominosteine miteinander verbunden: Wenn man einen Kipppunkt überschreitet, nähert man sich anderen. |
04:10 | Lassen Sie uns für einen Moment innehalten und schauen, wo wir stehen. Die Grundlage unserer Zivilisation ist ein stabiles Klima und eine reiche Vielfalt des Lebens. Alles, ich meine alles, basiert darauf. Die Zivilisation hat sich in einer habitablen Zone entwickelt: nicht zu heiß, nicht zu kalt. Das ist es, was wir seit 10.000 Jahren haben, seit wir die letzte Eiszeit verlassen haben. Lassen Sie uns hier ein wenig herauszoomen. Drei Millionen Jahre - nie haben die Temperaturen die Grenze von plus zwei Grad Celsius durchbrochen. Die Erde hat sich stets in einem sehr engen Bereich von plus zwei Grad in einer warmen Zwischeneiszeit und minus vier Grad in einer tiefen Eiszeit selbst reguliert. |
04:51 | Jetzt folgen wir einem Weg, der uns in nur drei Generationen in eine Drei- bis Vier-Grad-Welt führen würde. Wir würden die Klimauhr zurückdrehen, nicht eine Million, nicht zwei Millionen, sondern fünf bis 10 Millionen Jahre. Wir driften in Richtung Heißzeit. Bei jedem Anstieg um ein weiteres Grad werden eine Milliarde Menschen gezwungen sein, unter Bedingungen zu leben, die wir heute weitgehend als unbewohnbar ansehen. Dies ist kein klimatischer Notstand, es ist ein planetarer Notstand. |
05:19 | Meine Befürchtung ist nicht, dass die Erde am 1. Januar 2030 über eine Klippe stürzen wird. Meine Befürchtung ist, dass wir Knöpfe im Erdsystem drücken und dadurch unaufhaltsame Auswirkungen auslösen. |
05:31 | Was in den nächsten 10 Jahren geschieht, wird wahrscheinlich den Zustand des Planeten bestimmen, den wir den künftigen Generationen übergeben. Unsere Kinder haben allen Grund, beunruhigt zu sein. Wir müssen uns ernsthaft um die Stabilisierung unseres Planeten bemühen. |
05:46 | Zwei Grenzen werden diesen Wandel leiten. Die erste Grenze liegt in der Wissenschaft. Hier ist eine neue Gleichung für einen nachhaltigen Planeten: planetare Grenzen plus globale Gemeinschaftsgüter gleich planetare Verantwortung. Wir brauchen einen sicheren Korridor für die Menschheit, damit wir alle zu Verwaltern des gesamten Planeten werden können. Nicht um den Planeten zu retten, sondern um eine gute Zukunft für alle Menschen zu sichern. |
06:11 | Und die zweite Grenze liegt in der Gesellschaft. Wir brauchen eine neue wirtschaftliche Ordnung, die auf Wohlergehen basiert. Wir sind jetzt in der Lage, wissenschaftlich fundierte Ziele für alle globalen Gemeinschaftsgüter für alle Unternehmen und Städte in der Welt festzulegen. Die erste Aufgabe besteht darin, die globalen Emissionen bis 2030 um die Hälfte zu reduzieren und bis 2050 oder früher ein Netto-Null-Niveau zu erreichen. Das bedeutet, dass wir die großen Systeme, die unser Leben bestimmen, dekarbonisieren müssen: Energie, Industrie, Verkehr und Gebäude. Das Zeitalter der fossilen Brennstoffe ist vorbei. Wir müssen die Landwirtschaft von einer Emissionsquelle in einen Kohlenstoffspeicher umwandeln, und wir müssen vor allem unsere Ozeane und unser Land schützen, die natürlichen Ökosysteme, die die Hälfte unserer Emissionen absorbieren. |
06:55 | "Die gute Nachricht ist: wir können das schaffen! Wir haben das Wissen. Wir haben die Technologie. Wir wissen, dass es sozial und wirtschaftlich sinnvoll ist. Und wenn wir Erfolg haben, können wir alle frische Luft atmen. Wir werden einen gesunden Lebensstil und eine widerstandsfähige Wirtschaft in lebenswerten Städten erleben. Wir sind alle gemeinsam auf dieser Reise um die Sonne. Dies ist unser einziges Zuhause. Das ist unsere Mission: die Zukunft unserer Kinder zu schützen. |
07:30 | Vielen Dank. |
07:32 | (Klicken beim Ausschalten des Lichts) |
Bildnachweis:
Holger Motzkau, Lennart Guldbrandsson, unter CC BY-SA 3.0
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Einmal mehr hat ein namhafter Wissenschaftler den schrecklichen Ernst der Lage begriffen. Eigentlich – aber dann folgt das Merkel-Narrativ: "Die gute Nachricht ist: wir können das schaffen! (Wir haben das Wissen. Wir haben die Technologie. Wir wissen, dass es sozial und wirtschaftlich sinnvoll ist.)“ Es drängt sich ein weiteres Narrativ auf – von Otto: „Wer sind diese vier? Vier alle!“ Dabei hat Rockström zuvor den Finger auf die Wunde gelegt: „Die zweite Grenze liegt in der Gesellschaft. Wir brauchen eine neue wirtschaftliche Ordnung, die auf Wohlergehen basiert.“ Jedoch, wo soll diese neue wirtschaftliche Ordnung herkommen? Die meisten einflussreichen Kräfte dieser Welt werden nicht in den nächsten 10 Jahren klein beigeben und auf ihre Herrschaftsmittel verzichten. Generell müssen wir uns eingestehen, dass schmerzhafter Verzicht nicht wirklich mehrheitsfähig ist. Ist da wer, der dem widerspricht?
Damit wäre, folgen wir Rockströms Argumentation, das Schicksal der Erde bereits besiegelt.
Das Anliegen, erst den Menschen zu heilen, um dann die Welt retten zu können, muss scheitern. Wir stehen vor einem Krankenbett, in dem der Fiebernde 41 Grad erreicht hat. Welche Therapie ist die einzig mögliche: die Bekämpfung der Ursachen? Nein, denn zuvor ist der Delierende verstorben. Der erste Schritt musss sein, das Fieber zu senken, d.h., das Symptom zu bekämpfen. Also sich Luft verschaffen, um die viel schwierigere Aufgabe in Angriff nehmen zu können, die Ursachen zu erkennen und dagegen anzugehen. Zunächst muss also – auf der Basis der existierenden Wirtschaft und Gesellschaft – die Temperatur als solche gesenkt werden. Und zwar durch Drosselung der externen Energiezufuhr! Dies ist der einzige Weg, der zum einen rasch begangen werden kann, weil er nicht die mentale Heilung der Menschheit voraussetzt. Zum anderen ist er bei ungeheurem technischen Aufwand nichtsdestoweniger begehbar. Alles andere bleibt entweder hilfloses Wunschdenken oder Omnipotenzfantasie.