Konzernlobbyismus Falsch wie nachgemachtes Geld
Zuletzt aktualisiert am 13. August 2020 durch Jürgen Voskuhl
Die Fachwelt ist sich einig: Batterieelektrische Autos sind über ihre gesamte Lebensdauer deutlich weniger klimaschädlich als ihre Verbrenner-Pendants. Die Reichweiten der Batterien werden immer größer, ihre Haltbarkeit immer länger.
Erst vereinzelt, in den letzten beiden Monaten aber quasi in einer „konzertierten Aktion“ kommen verschiedene Protagonisten um die Ecke, die das Gegenteil behaupten. Da sind plötzlich Dieselautos emmissionsärmer als Elektroautos, wahlweise ist auch synthetischer Kraftstoff das Allheilmittel.
Was ist da los? Und vor allem: Welchem Zweck dient das?
Verschiedene Studien seriöser Wissenschaftler auf der ganzen Welt (in Deutschland beispielsweise vom Fraunhofer ISI und von ifeu, außerdem hier, hier und hier in in engl. Sprache) kommen unabhängig voneinander zu der Erkenntnis, dass batterieelektrische Fahrzeuge (kurz BEVs, von Battery Electric Vehicle) schon jetzt über ihre gesamte Lebensdauer hinweg weniger Emissionen verursachen als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren.
Batterieelektrische Fahrzeuge auf dem Vormarsch
Und weil das so ist, haben BEVs ihren Siegeszug um die Welt bereits angetreten - vor allem in China, wie man der nachfolgenden Diagramm entnehmen kann.
Aber auch in Europa tut sich einiges: Zahlreiche Länder haben bereits ihren Abschied vom Verbrennungsmotor bekannt gegeben.
In Norwegen werden bereits heute drei von vier zugelassenen Fahrzeugen ganz oder teilweise elektrisch angetrieben.
In Deutschland nimmt die Elektrifizierung des Individualverkehrs ebenfalls Fahrt auf, wenn auch noch etwas verhalten: Laut Kraftfahrtbundesamt haben sich im ersten Halbjahr 2020 die Anmeldungen trotz der Corona-Krise auf 93.682 Elektroautos nahezu verdoppelt (+96 Prozent). Allein im Juni gab es einen Zuwachs um 118 Prozent auf 18.897 Fahrzeuge.
Grafik: regio-aktuell24.de
Also ist doch alles auf dem richtigen Weg, die Welt ist schön! Oder etwa nicht?
Es ist leichter die Menschen zu täuschen, als sie davon zu überzeugen, dass sie getäuscht worden sind.
Mark Twain, amerikanischer Schriftsteller
Störfeuer
Im April 2019 veröffentlicht das ifo-Institut unter Beteiligung von Hans-Werner Sinn einer Studie, die Wasserstoff (als FCEV, also Fahrzeuge mit Brennstoffzellen-betriebenen Elektromotoren) oder Methan (in leicht modifizierten Verbrennungsmotoren) favorisiert und störte so die „heile BEV-Welt“.
Zum Glück wurde die „Un-Sinn-Studie“ zeitnah widerlegt, und zwar mehrfach. Beispielsweise in der Wirtschaftswoche von Stefan Hajek oder im Spiegel.
Im Juni und Juli 2020 ging dann das Spiel aber wieder von vorne los!
Viel Aufregung um acht Seiten
Prof. Dr. Dr. Ulrich Schmidt von IfW Kiel veröffentlicht unter dem Titel „Elektromobilität und Klimaschutz: Die große Fehlkalkulation“ ein Kurzdossier, in dem er die beiden oben genannten Studien von Fraunhofer ISI, beziehungsweise dem Heidelberger ifeu direkt angreift und zu folgendem Schluss kommt: „Berücksichtigt man den erhöhten Stromverbrauch, führen Elektroautos tatsächlich zu 73 Prozent höheren Treibhausgasemissionen als moderne Diesel-PKWs“.
Die Autoren der angegriffenen Studien wehren sich umgehend (hier und hier).
E-Fuels? Nicht Euer Ernst!
Ebenfalls im Juni 2020 veröffentlicht das Beratungsunternehmen Stahl Automotive Consulting (SAC) ein White Paper mit dem Titel „Der Weg hin zu einer CO₂-armen Mobilität“. Darin kommen die Autoren zu dem Schluss, dass „synthetische Kraftstoffe die effizienteste Variante sind, um im Verkehrssektor CO₂-Emissionen einzusparen“.
Gemeint sind hier sogenannte E-Fuels, also synthetische Kraftstoffe, die mittels Strom aus Wasser und Kohlenstoffdioxid (CO2) hergestellt werden. Da man dazu sehr viel Strom aus erneuerbaren Energien benötigt, geschieht dies am besten in der MENA-Region. Die Sinnhaftigkeit ist allerdings fraglich: Mit der gleichen Menge Strom, die zur Herstellung eines E-Fuels aufgewendet und in einem Verbrenner verbrannt wird, kommt man mit einem Elektroauto siebenmal so weit!
Außerdem muss das E-Fuel zunächst noch nach Deutschland transportiert werden (was übrigens die bestehenden Abhängigkeitsverhältnisse von Mineralölkonzernen auch für die Zukunft manifestieren würde!).
In einer Studie haben die Wissenschaftler vom ifeu auch das im White Paper von SAC beschriebene Szenario berücksichtigt. Sie kommen zu einem vernichtenden Urteil: „Mit den PtX-Energieträgern lassen sich Treibhausgase einsparen, aber selbst mit 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Quellen ist die Herstellung synthetischer Brennstoffe mit erheblichen Umweltlasten verbunden.“
Massenmedien: Laissez-faire oder Vorsatz?
Ungeachtet ihrer einseitigen Darstellung oder der vorsätzlichen Auslassung bestimmter Aspekte werden die beiden vorgenannten Dokumente vom IfW, beziehungsweise SAC medial ausgeschlachtet, zum Beispiel hier, hier und hier.
Das wirft die Frage auf, ob ehemals seriöse Medien wie die FAZ, der Stern oder der Focus nicht (mehr) in der Lage sind, selbst zu recherchieren? Oder will man dies dort etwa gar nicht - und macht sich so zum Mittäter?
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Der ständige Nervzwerg
Dann ist da ja auch noch Thomas Spahn (Deutsche Welle). Er macht regelmäßig mit „Elektro-Bashing“ auf sich aufmerksam. Zumeist im dw-Format „Wirtschaft_plus“, aber auch in davon unabhängigen Videoclips, zum Beispiel hier.
Robin Engelhardt hat sich in seinem Blog ausgiebig mit Herrn Spahn beschäftigt und zahlreiche seiner haltlosen Behauptungen widerlegt.
Ist das alles noch Wissenschaft oder nur noch Ideologie? Völlig egal, denn darum geht es gar nicht!
Ich bin überzeugt, dass ausschließlich handfeste wirtschaftliche Interessen dahinter stecken.
Klingt provokativ? O.k., schauen wir uns das gemeinsam an!
Ein Kostenvergleich
Betrachten wir zunächst die Auswirkungen einer zunehmend batterieelektrischen Flotte im Hinblick auf Kosten und Infrastruktur. Ich habe das in der folgenden Grafik dargestellt.
Zur Visualierung habe ich Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor (ICEVs, von Internal Combustion Engine Vehicles) unter Verwendung von konventionellem Kraftstoff als Referenz verwendet. Demzufolge erhalten diese in allen Kategorien zwei Münzen (entspricht „keine Veränderung“). Ersetzt man den konventionellen Kraftstoff nun ganz oder teilweise durch E-Fuel, verändert sich nicht viel: lediglich die Herstellungskosten des Kraftstoffs steigen.
Beim BEV sieht das jedoch völlig anders aus! Diese sind in der Herstellung zwar (noch) deutlich teurer (durch die Elektroauto-Prämie bekommt der Käufer aber nichts davon mit), aber während der Nutzungsphase ändert sich das dann:
- Schmierstoffe (Motorenöl) und andere sekundäre Antriebsstoffe (z. B. AdBlue®) entfallen
- Ein BEV benötigt keine Tankstelle
- Die Herstellungskosten für den „Kraftstoff“ (Strom) sind deutlich niedriger (besonders, wenn der vom eigenen Dach kommt); der Transport erfolgt über das Stromnetz
- Die Wartungs- und Instandhaltungskosten sind deutlich niedriger: laut einer Studie reduzieren sich diese um mindestens 35 Prozent. Warum das so ist:
- Elektroautos benötigen keine Zahnriehmen-, Ölfilter- oder Zündkerzenwechsel.
- Ein Elektroauto verfügt nicht über Wasserpumpe, Kühler, Auspuffanlage oder Kupplung, die anfällig für teure Reparaturen oder aufwändige Überprüfungen sind.
- Die Rekuperationstechnik, bei der ein Teil der Bremsenergie zum Aufladen des Akkus verwendet wird, schont Bremsen und Bremsbelege. Sie müssen daher seltener erneuert werden.
Zudem gelangen dadurch auch weniger Partikel in die Umwelt (die wir dann einatmen).
Und wie ist das mit den Emissionen?
Betrachten wir nun die Emissionen. Auch hierzu zunächst wieder eine (ähnlich aufgebaute) Tabelle.
Ebenso wie oben habe ich ICEVs wieder als Referenz verwendet.
Wie man auf Anhieb erkennt, ändert sich auch hier bei einem ICEV, welches mit E-Fuel betrieben wird, nicht viel. Für die Kraftstoffproduktion wird der Luft CO₂ entnommen, das macht die Sache klimaneutral. Der Transport- und Distributionsweg (und damit auch die Abhängigkeit von den Mineralöl-Konzernen!) bleibt jedoch bestehen.
Anders sieht es bei BEVs aus: Viele Dinge, die heute gekauft, beziehungsweise vorgehalten werden müssen, entfallen in einer elektrifizierten Welt oder werden zumindest preisgünstiger. Hierbei spielt auch eine Menge sogenannter „ grauer Energie“ eine Rolle: mit dem Herstellen des eigentlichen Produkts (wobei Emissionen entstehen) ist es nicht getan. Es muss auch verpackt (die Verpackung muss ebenfalls hergestellt werden), transportiert, gelagert, verkauft und eventuell entsorgt werden.
Der anfängliche, produktionsbedingt größere „CO₂-Rucksack“ eines BEV egalisiert sich über die ersten 50 - 80.000 Kilometer (abhängig vom Fahrzeug), danach hat ein BEV in jedem Fall die Nase vorn.
Weitere Argumente „contra Elektromobilität“
Viele weitere (Schein-)Argumente wurden und werden von Elektroauto-Gegnern ins Feld geführt - und allesamt wiederlegt!
Lesenswert dazu ist ein Dokument von Univ.-Prof. Dr.-Ing. Martin Doppelbauer, Professor für Hybridelektrische Fahrzeuge am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
Insbesondere vor dem Hintergrund der kürzlich erhöhten Innovationsprämie für Elektroautos muss man da also eigentlich nicht zweimal überlegen: Wenn schon ein neues Auto, dann auf jeden Fall ein elektrisch angetriebenes Modell!
In einer idealen Welt...
Wenn wir herausfinden wollen, warum es diese Negativ-Propaganda bezüglich BEVs überhaupt gibt, müssen wir uns gedanklich in eine „ideale Welt“ begeben. Nehmen wir also für einen Moment an, es gäbe all diese Gegenmeinungen nicht. Stattdessen würde bereits ein breiter gesellschaftlicher Konsens darüber bestehen, dass BEVs die Zukunft sind. Was wäre dann die Folge?
Offensichtlich eine disruptive Umstellung auf BEVs: niemand würde mehr ein Auto mit Verbrennungsmotor kaufen wollen!
Wer könnte wohl etwas dagegen haben? Wem würde es schaden?
- Das Geschäftsmodell der Mineralölwirtschaft wäre massiv bedroht: Nicht nur der Verkauf von Kraftstoffen würden schon bald rapide zurückgehen. Auch sekundäre Antriebsstoffe wie Motorenöl oder AdBlue® wären betroffen (Lizenzgeber für AdBlue® ist übrigens weltweit der VDA, also der Verband der Automobilwirtschaft).
- Die klassischen Automobilhersteller wären nicht in der Lage, Ihre Fabriken schnell genug auf einen hohen Anteil batterieelektrischer Fahrzeuge umzustellen, um die Nachfrage zu bedienen (das ist heute bereits erkennbar: manche BEVs sind derzeit gar nicht lieferbar, andere haben Lieferzeiten von einem Jahr).
Kleinere, flexible Wettbewerber würden den gestandenen Konzernen Marktanteile abjagen. - Das Kraftfahrzeughandwerk würde mit geringer Verzögerung ebenfalls durch allzu viele BEV einen spürbaren Umsatzrückgang erleiden: alle Wartungs- und Reparaturarbeiten, die im Zusammenhang mit dem Antriebsstrang stehen, reduzieren sich auf ein Minimum, beziehungsweise entfallen komplett. Weitere Komponenten sind zum Teil nicht vorhanden oder verschleißen weniger - und müssen deshalb auch nicht gewartet oder ausgetauscht werden.
Die unlauteren Methoden der „Bremser“
Das sind allesamt Gründe, die einen Konzern oder auch einen Branchenverband schon mal zu der einen oder anderen unwahren Behauptung hinreißen und zur Ergreifung von „Gegenmaßnahmen“ bewegen könnte. Es wäre nicht das erste Mal:
- Jeffrey Wiegand deckte auf, dass die Tabakindustrie nicht nur über die Schädlichkeit, sondern auch über die Suchtgefahr des Rauchens genau Bescheid wusste und dennoch Gegenteiliges behauptete („Es liegen keine ausreichenden wissenschaftlichen und medizinischen Belege vor, die deutlich machen, dass Rauchen die Ursache für irgendeine Krankheit ist“).
Ich empfehle zu diesem Thema, sich unbedingt den Film „Merchants of Doubt“ von N. Oreskes und E. M. Conway anzuschauen (OmU). - Die Mineralölwirtschaft hat diese Methode perfektioniert („Es ist nicht erwiesen, das menschliches Handeln Einfluss auf den Klimawandel hat.“).
- Die Klimaschmutzlobby will effektiven Klimaschutz verhindern, um ihre wirtschaftlichen, ideologischen oder politischen Interessen nicht zu gefährden. Einzelheiten dazu im gleichnamigen Buch von Susanne Götze und Annika Joeres.
- Auch die deutschen Automobilhersteller waren bei der Wahl ihrer Methoden in der Vergangenheit nicht gerade zimperlich, Stichwort „Abgasskandal“.
Es geht um das Verhindern von schnellen, klaren Entscheidungen der Politik, welche das eigene Geschäftsmodell gefährden
Die Ziele in allen vier Fällen:
- Die Meinung der Zivilgesellschaft in Richtung der eigenen Vorstellung beeinflussen.
- Klare Entscheidungen der Politik, welche das eigene Geschäftsmodell gefährden, verhindern oder mindestens solange wie möglich hinauszögern.
Auch die dabei angewendeten Methoden sind weitgehend identisch. Dazu gehört etwa das Engagieren von Fake-Experten, die dann Fake-Studien produzieren (zum Beispiel, indem Sie bestimmte Aspekte weglassen, welche nachteilig für das eigene Produkt sind); diese Studien werden in Medien mit großer Reichweite lanciert. Oder man platziert die „Experten“ gleich in Talkshows.
All das sorgt im Ergebnis für Verunsicherung in der Zivilgesellschaft und bei politischen Entscheidungsträgern (natürlich nur bei solchen Politikern, die nicht ohnehin bereits die Lobbyinteressen vertreten). Diese Verunsicherung führt zu weiteren Diskussionen - und damit zu Verzögerungen. Mission accomplished, Ziel erreicht!
Schade nur, dass derartige Methoden hierzulande nicht strafbar sind: Unser Strafrecht kennt nämlich den Begriff „Anfangsverdacht“ - und der ist in jedem Fall gegeben:
- Das Motiv ist bekannt (Existenzangst, siehe oben).
- Die oben genannten Protagonisten haben auch die Möglichkeit, die Tat zu begehen (bzw. durch Beauftragung eines Strohmannes begehen zu lassen): Schließlich ist genug Geld im Spiel.
- Für Gespräche mit eventuellen Strohmännern gibt es ständig und überall Gelegenheiten.
Strafverfolgungsbehörden werden aber keinesfalls ermitteln, da es ja keinen passenden Straftatbestand gibt. Also müssen andere ran.
Correctiv.org, bitte übernehmen Sie!
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