Warum Ihr bester Entwickler mit Tools wie RooCode und Copilot hadert und was das wirklich über die Zukunft des Codings aussagt.

Wir leben in einer spannenden Zeit. KI-Tools wie RooCode, GitHub Copilot und andere versprechen eine Revolution in der Softwareentwicklung: schnellerer Code, höhere Produktivität, die Automatisierung lästiger Routineaufgaben. Die logische Annahme vieler Manager und Tech-Leads ist: Ein intelligenter, erfahrener Entwickler müsste mit diesen Werkzeugen durch die Decke gehen.
Doch die Realität sieht oft anders aus. Vielleicht beobachten Sie es in Ihrem eigenen Team: Ein hochqualifizierter, erfahrener Mitarbeiter, eine Säule des Teams, tut sich schwer, ist frustriert oder lehnt diese neue Arbeitsweise sogar ab.
Liegt es an mangelnder Anpassungsfähigkeit? Ist er "von gestern"?
Die Antwort ist ein klares Nein. Die Beobachtung ist korrekt, aber die Schlussfolgerung ist falsch. Wir erleben gerade keinen einfachen Werkzeugwechsel, sondern einen fundamentalen Wandel des Entwicklerprofils. Die Anforderungen sind nicht geringer, sondern anders – und oft mental deutlich anspruchsvoller.
Die alte Annahme vs. die neue Realität
Die ursprüngliche Gleichung im Kopf vieler lautete: Hoher IQ + viel Erfahrung = Perfekter KI-gestützter Entwickler
Diese Annahme ist unvollständig. Die wahre Formel für erfolgreiches "Agentic Coding" sieht eher so aus: Abstraktionsfähigkeit + Extrem schnelle Auffassungsgabe + Hohe Frustrationstoleranz + Kognitive Flexibilität
Lassen Sie uns diese neuen, kritischen Faktoren aufschlüsseln.
1. Vom Schöpfer zum Regisseur: Ein radikaler Rollenwechsel
Traditionelle Programmierung ist oft ein handwerklicher "Schaffensprozess". Ein Entwickler taucht tief in ein Problem ein, erreicht einen "Flow-Zustand" und baut eine Lösung Zeile für Zeile auf. Er ist der Architekt und der Maurer in einer Person. Der Code entsteht in der Geschwindigkeit seiner eigenen Gedanken.
Agentic Coding kehrt diesen Prozess um. Die KI generiert in Sekunden hunderte Zeilen Code. Der Entwickler wird vom Schöpfer zum Regisseur und Prüfer. Seine Hauptaufgabe ist nicht mehr das Schreiben, sondern:
- Lesen: Einen großen, fremden Codeblock schnell erfassen.
- Verstehen: Die Logik und die Absicht hinter dem Code nachvollziehen.
- Validieren: Fehler, Sicherheitslücken und subtile logische Mängel finden.
- Integrieren: Den Code in die bestehende Architektur einpassen.
Dieser ständige Wechsel zwischen der kreativen Anweisung (Prompting) und der kritischen Analyse (Review) zerstört den Flow-Zustand. Es ist ein "Stop-and-Go"-Prozess, der sich für einen passionierten "Handwerker" wie eine ständige Unterbrechung anfühlt.
2. Die unsichtbare mentale Steuer: Warum KI-Coding so anstrengend ist
Auch wenn die Finger weniger tippen, arbeitet das Gehirn auf Hochtouren. Die mentale Belastung ist immens und entsteht durch drei Faktoren:
- Die Vigilanz-Steuer: Man kann der KI nie zu 100 % vertrauen. Das Gehirn muss permanent im "Alarmzustand" sein, um subtile Fehler zu entdecken, die die KI eingebaut hat. Diese konstante Wachsamkeit ist extrem ermüdend.
- Entscheidungsmüdigkeit: Jeder KI-Vorschlag erzwingt eine Kaskade von Mikro-Entscheidungen: Akzeptieren? Anpassen? Verwerfen? Selbst korrigieren? Den Prompt neu formulieren? Diese Flut an Entscheidungen führt zu klassischer "Decision Fatigue".
- Das "Uncanny Valley" des Debuggings: Das Debuggen von KI-Code ist bizarr. Die Fehler sind oft nicht die, die ein Mensch machen würde. Sie folgen einer fremden, statistischen "Logik". Das macht die Fehlersuche oft unintuitiv und frustrierend.
Die perfekte Analogie: Pilot vs. Fluglotse
Um den Unterschied zu verdeutlichen, hilft eine Analogie:
- Ein traditioneller Entwickler ist wie ein Pilot. Er hat die Hände am Steuerknüppel, spürt das Flugzeug und ist voll auf die komplexe Aufgabe des Fliegens konzentriert.
- Ein agentic Coder ist wie ein Fluglotse. Er fliegt kein einziges Flugzeug selbst. Stattdessen überwacht er Dutzende auf seinem Radar, gibt übergeordnete Anweisungen, sorgt dafür, dass nichts kollidiert und greift im Notfall ein. Sein Job ist von extremer Wachsamkeit und hohem Stress geprägt – und am Ende seiner Schicht ist er erschöpft, obwohl er seinen Stuhl nie verlassen hat.
Fazit: Was bedeutet das für Teams und Manager?
Wenn Ihr erfahrener Entwickler zögert, ist das kein Zeichen von Schwäche, sondern oft ein Beweis für sein tiefes Verständnis von Code-Qualität und seine auf den "Flow" optimierte Arbeitsweise. Er lehnt nicht die Hilfe ab, sondern den mental anstrengenden und fremdartigen Prozess.
Was können Sie tun?
- Anerkennung statt Zwang: Sprechen Sie offen an, dass dies eine andere Art zu arbeiten ist, die nicht für jeden oder für jede Aufgabe ideal ist. Wertschätzen Sie die "Handwerkskunst" Ihres erfahrenen Entwicklers weiterhin.
- Hybrid-Modelle fördern: Ermutigen Sie zur Nutzung von KI für Aufgaben, bei denen die Reibung gering ist: Boilerplate-Code generieren, Unit-Tests schreiben, Code dokumentieren oder komplexe Legacy-Abschnitte erklären lassen.
- Seien Sie ehrlich: Teilen Sie als Führungskraft nicht nur die Erfolge, sondern auch Ihre eigenen Frustrationen mit den Tools. Das schafft Vertrauen und validiert die Erfahrungen Ihrer Mitarbeiter.
Die Zukunft der Softwareentwicklung wird nicht nur von einer Art von Entwickler geprägt sein. Wir werden sowohl die "Piloten" – die tiefgründigen Problemlöser und Architekten – als auch die "Fluglotsen" – die schnellen, KI-gestützten Regisseure – brauchen. Ihre Aufgabe als Führungskraft ist es, die Stärken beider Profile zu erkennen und richtig einzusetzen.
